Sophie Reyer (Österreich) geboren in Wien 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis "Nah dran!" für das Kindertheaterstück "Anna und der Wulian". 2014 Uraufführung "Anna und der Wulian" an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst, Wien.

 

Deutsch

 

 

JANAS FISCHE

 

 

Jana: Ja also. Ich hab es nicht so mit den Worten. Bin eher stumm wie ein Fisch. Jana heiß ich, sagen alle, und es ist gerade wieder Frühling. Das ist wichtig. Wenn Frühling ist, das erkennt man an den Strukturen der Rinde. Die ich dann immer mit meinen Fingern auf und ab fahre. Ich schaue und schaue und da wo ich nicht bin, in der Mitte des Bauches, ist ein Loch. Und ist ein Loch und die Strukturen und der Frühling geben einem eine Sicherheit zurück. Dann bin ich der Baum, bin seine Rinde, hinten im Hof des Krankenhauses. Rinde ist gut. Sie muss gestreichelt werden. Find ich. Und: Die eigenen Hände kann ansehen. Man kann sie sogar essen. Sie sind sehr fremd. Die Anordnung der Eicheln unter dem Baum sind eine große Festigkeit in einer viel zu lauten Welt und ich bin das Holz in meiner Hand. Sonst nichts. So ist der Frühling. Ehrlich.

 

Früher, da war es schwerer. Allen ging es leichter von der Zunge irgendwie als mir. So als wär die Welt ein Kinderspiel. Aber die Gesichter der Menschen, die sind nicht wie die Strukturen einer Rinde. Die kommen gefährlich nahe, schieben sich in den Blick hinein und tun unnötig weh. Warum? Egal, aber vielleicht will ich deshalb lieber fehlen? Bin ich deshalb ein Loch, wo ich sonst eigentlich sitzen sollte?

 

Heute sind die Tage anders. Sie bringen immer wieder die Maschine in das weiße Zimmer. Die heißt NAO- Roboter und ihr Gesicht macht keine Angst, weil es keines ist. Also kein richtiges. Es ist nämlich auch ein bisschen wie ein Loch.

 

„NAO- Roboter wollte noch mitkommen“, sagt der Mann im weißen Kittel und ich nicke.

 

„Willst du mit mir spielen?“ fragt der auch gleich.

 

Das macht er immer. Die Spiele sind einfach. Er zeigt mir Gesichter mit seinem großen Kopf, der riesige Augen hat, und sagt dazu ein Gefühl. Ich klicke dann mit dem Fuss, wenn ich meine, das Gefühl stimmt, auf ein Pedal. Stimmt meistens nicht. Aber das Spiel ist in Ordnung, seid es die Watte gibt um meinen Kopf. Woher die kommt weiß ich auch nicht so genau, wahrscheinlich von den Pillen. Nach dem Spiel will ich eigentlich wieder nur schlafen. Naja.

 

Stimme vom Band: Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen können mittels

 

Robotern in ihrer mentalen Entwicklung unterstützt werden. Beziehungen zu Menschen können

 

ihnen dann leichter fallen. Mit einem humanoiden Roboter können am besten

 

Emotionen oder soziale Verhaltensweisen imitiert und generalisiert werden. Daher sind diese

 

Maschinen auch perfekt für die Arbeit mit autistischen

Kindern. Weiters hat der NAO-Roboter die Fähigkeit, zu sehen und zu erkennen. Außerdem kann er

hören und verstehen, sprechen, sogar betonen, je nachdem, welches Programm Jana ihm

einspeist.

 

Mit diesen Eigenschaften sind ihm die besten Voraussetzungen zur

 

 Kommunikation und Interaktion gegeben, alles recht simpel eigentlich. Gekoppelt mit einfachen

 

Bewegungen kann er verschiedene Verhaltensweisen imitieren oder dazu auffordern, kann spiegeln,

 

sich bewegen, kommunizieren. Da die Einzelteile inzwischen von der Firma Cyinc serienmäßig

 

 hergestellt werden, ist es auch kein Problem, sämtliche Teile billig nach zu kaufen, sollten sie

 

kaputt gehen.

 

Jana: Irgendwie ist es auch gut hier, wenn es Frühling wird und ich im Park spazieren kann. Die Natur füllt das Loch in mir, als wär nix. Daheim war ein Vaterschlagen, und das hat das Loch damals nur größer und größer gemacht.

 

„Du fühlst nichts“, hat der Vater immer wieder gesagt, wenn das Vaterschlagen vorbei war. Doch! Seine Hand war schnell an der Wange und dann brennend. Aber wie hätte ich ihm ohne Worte erklären können, dass die Worte für den Schmerz nicht hinauswollen wenn der Schmerz da ist.

 

„Du fühlst nichts!“

 

Das ist nicht wahr. Aber dass man sagen kann, dass es weh tut, ist eben erst später. Und außerdem versteh ich das nicht so mit den Worten. Wie sie den Dingen zuordnen, den Gefühlen, der Dichtigkeit der Welt? Bevor ich einen Satz finde trommelt immer etwas in mir gegen den Boden, um die Wette mit dem eigenen Herzschlag. Etwas, das nicht da ist. Also: schon da, aber nicht da. Loch in der Mitte, um das sich die Welt dreht eben. Ehrlich.

 

Stimme vom Band: Mit einem humanoiden Roboter kann man am besten

 

Emotionen oder soziale Verhaltensweisen imitieren und generalisieren. Daher sind diese

 

Maschinen auch perfekt für die Arbeit mit autistischen

 

Kindern. Weiters hat der NAO-Roboter die Fähigkeit, zu sehen und zu erkennen. Außerdem kann er

 

hören und verstehen, sprechen, sogar betonen, je nachdem, welches Programm Jana ihm einspeist.

 

Jana: Wenn Sommer ist, schlafe ich jetzt die meiste Zeit. Welcher Tag ist heute? Ich versuche, zu zählen, aberjeden morgen hab ich die genaue Zahl vergessen. Ob das von der Watte kommt, die ich im Kopf hab? Ich esse nicht gern. Inzwischen hab ich begriffen, dass sie mir deshalb früher immer diesen Schlauch durch die Nase geschoben habe. Auch wenn ichs nicht so hab mit den Worten, bin ich nicht bescheuert.

 

An einen Friseurstuhl, am Gang, haben sie mich angeschnallt in der ersten Zeit. Ein Ding haben sie mir durch die Nase geschoben, Sonde, haben sie später gesagt, es war wie eine Schlange, und die ging so tief runter, dass ich würgen musste. Da hing dann etwas aus meinem Mund raus. War das meine Zunge? Nein, es war wieder dieses Röhrchen. Jetzt zwischen den Lippen. Das Gaumenzäpfchen hat sich gewehrt. Und durch das Würgen ist die Flüssigkeit wieder zum Mund heraus geschossen

 

Stimme vom Band: Binden sie ihm den Kopf fest!

 

Da ist eine Doping- Substanz in dem Essen drin, damit er nicht umklappt, damit er seine Kraft behält. Schon pervers, oder? Und dann dröhnen sie ihn mit Neuroleptika zu wie Wahnsinnige.

 

Und wer das alles zahlt? Natürlich die Krankenkasse. Lobby der Pharmaindustrie.Naja, zumindest therapieren sie ihn auch mit Robotern. Früher hätte man ihn irgendwie als Dorfdeppen integriert. Naja. Survival of the fittest, nicht.

 

Jana: Da hat der Kehlkopf einen Sprung gemacht und der Schlauch ist aus dem Rachenraum heraus gehüpft. Erneut haben die Finger der Ärztin nachgedrückt, das schlauchartige Ding zurück in meine Mundhöhle gesteckt und ich war dann selbst eine Höhle, nein, ein Loch, wie so oft, und zu schwach, um mich noch zu wehren. Die Hände und Füße wollten nicht mehr ansprechen. Auch der Kopf nicht. So wurde ich hinab gezogen, von irgendwas, aber ohne Ränder. Nach unten hin. Schwerkraft. Hände tasteten nach mir, haben mich aufgerichtet. Viel später dann. Aber da, wo ein ich hätte sein sollte, da knickte es. Also: ich: also: das Loch. Oder.

 

Filmriss.

 

Das ist alles, woran ich mich erinner. . Dann hab ich also wieder ein bisschen gegessen und dazwischen immer A gesagt. A. A.

 

Das A hat geholfen, es war eine große Sicherheit, wie die Ritzen in der Rinde der Bäume im Frühling.

 

Seitdem ist so ein Friede gekommen. Die Maschine ist auch immer wieder gekommen und sie macht sicher, auch wenn sie nicht riecht wie die Natur und sich nicht anfühlt wie die Risse in den Baumrinden. Dafür ist da eine Watte. Irgendwie beruhigend. Und ich kann im Vergessen schlafen und muss nicht immer wieder das Wort A wiederholen. Auch gut, oder. A. A. A.

 

Stimme vom Band: In einigen Studien wurde das Konzentrationslevel anhand des Aufrechterhaltens des Blickkontaktes zum Roboter im Unterschied zur normalen Aufmerksamkeit im Klassenraum gemessen. Man hat 12 Kinder analysiert und die Studie zeigte, dass die durchschnittliche Dauer des Blickkontaktes bei Interaktion mit dem NAO-Roboter höher warls im Klassenraum mit anderen.

 

Jana: Wieder eine Landschaft sein wollen, wenn der Morgen kommt. Seitdem ich hier bin, mag ich nur schlafen.

 

„Wir bergen dich“, wispern die Wipfel des Waldes.

 

Dumpf und dunkel liegt der Wald hinter dem Fenster.

 

„Hier ist es gut“, wispert der Wind an meinem linken Ohr vorbei.

 

Ich bin dann nur mehr ein Horcher

 

Stimme vom Band: Im Laufe der Zeit haben sich drei sinnvolle Einsatzformen entwickelt, die ein Roboter bei einer Therapie mit autistischen Kindern einnehmen kann. Alle werden in Moment praktiziert. Eine Möglichkeit ist, dass der Roboter die Rolle eines Lehrers mit Autorität übernimmt. In dieser Position ist es der Maschine möglich, soziales Verhalten zu demonstrieren und eine Interaktion durchzuführen. Kontaktfunktion. der NAO kann in zweiter Instanz aber auch als Mediator zwischen Therapeut und Kind dienen, um Verhaltensweisen und Aufforderungen an das Kind zu vermitteln. Ein Botschafter sozusagen. Außerdem ist es möglich, dass die Maschine dazu gebraucht wird Gefühle des Kindes zu vermitteln, wobei letzteres nicht sehr häufig praktiziert wird. Diese Technik bezeichnet man als „gestützten Kommunikation“. NAO- Roboter ist fähig, all diese Programme auszuführen- und noch vieles mehr. Für heute würde er bei Möglichkeit eins bleiben, sodass ich selbst im Hintergrund verweilen kann. Ich betrachte die Maschine und lächele innerlich, immer noch stolz über deren Vielseitigkeit. Flügelchen sind an den Schultern montiert, die der NAO- Roboter ein und ausfahren kann. Er dient auch als netter Spielgenosse, der sich mittels Fernbedienung leicht lenken lässt, ähnlich einem Hubschrauber, mit dem Kinder ganz gern spielen. Die multifunktionale Ausrichtung des Roboters bietet in jedem Fall eine gute Grundlage für Therapie und Forschung.

 

Jana: Der Mann im Kittel hat sich vor mir aufgebaut. Sein Haar fäll in walnussbraunen Locken auf die Schultern, auf der Nase kleine Pünktchen. Pickel, hätte die Mutter gesagt. Sein Gesicht schiebt sich zu nahe an mich heran. Der Arzt hat eine Art, da wo das Loch ist, hinzugucken. Da muss ich zittern.

 

„Schlag dein Buch auf“, meinte der NAO- Roboter einmal.

 

Ich bin seinen Anweisungen gefolgt und er hat gesagt ich soll lesen.

 

Nach Luft hab ich da schnappen müssen. Ich war ein Fisch, dem sie das Wasser genommen haben und ich konnte nichts sagen. Außer immer wieder nur: A. Und geschaut hab ich in eine andere Richtung als in die, in der der Roboter stand. Ich schnappt nach Luft, wieder und wieder. Jana, Fisch ohne Wasser. Der Mann hat geseufzt. Und dann kam das mit der Watte im Kopf und ich habe begriffen, dass es mit den Pillen zu tun hatte, die sie mir in den Mund geschoben haben.

 

Nachmittags darf ich ein wenig im Park spazieren gehen. Still ist es. In der Stille findet alles zu sich. Laub raschelt im Rücken. Ein Käuzchen ruft. Es dauert nicht lang, dann sind die stummen Freunde da, wenn man in einen Teich steigt: Weißt du? Ehrlich Eine Schar an Fischen sammelt sich dann unter den Füßen. Ich strecke die Hand aus, um sie zu streicheln. Einen nach dem anderen. Die Fische beginnen, sich ineinander zu bewegen, zu tanzen.

 

„Wir haben dich vermisst“, zittern die Körper der Fische.

 

Sie buchstabieren ihre Freundschaft durch meine Hände hindurch, aber auch das sind bloss Worte. Egal.

 

„Wir mögen dich, Jana!“ sagen die Fische.

 

„Ich bin krank“, antwortet meine Hand.

 

Die Fische kennen das Wort nicht.

 

„Schön, dass du da bist“, antworten sie.

 

Als ich meine Hand heraus ziehe, sind die Finger bereit. Ich tunke sie erneut ins Wasser, reinige sie, reibe sie ab am Ansatz meiner Hose

 

Ich mag die Winter nicht. Die Fische sind im Winter immer tot. Viele tote Fische haben einander abgewechselt, seitdem ich hier wohne. Es tut weh, genau so, wie der Wechsel der Jahreszeiten weh tut und die Änderungen des Sonnenlichts. Da ist es doch sicherer bei der Maschine, denk ich mir dann. In der ist eine weniger traurige Wiederkehr, ein Friede, der nicht sticht. Die Fische sind nicht ewig, die Maschine kann man einschalten und die Sicherheit der Watte ist groß. Obwohl: auch in der Natur geht nicht alles kaputt. Vieles was gut ist, kommt wieder zurück, weißt du. Und die Jahreszeiten kommen immer wieder. Ohne mich wird wieder Frühling sein. Es werden auf den höchsten Bergen diese zarten Blumen wachsen. Ein Traum wird sein Schloss aufblasen, so wie jedes Jahr. Andre haben ihre Lieder, andre wiegen ihre Kinder. Ohne mich, diesen Jana, die Höhle, wird Frühling sein. Ich werd das zitternde Gras sein irgendwann und die Fische im Wasser. Ehrlich. Oder? Auf jeden Fall werde da sein. Ohne Tabletten und Roboter. Oder? Und wenn nicht, ist es auch egal. Nur Menschen will ich nicht in der Nähe haben dann Ehrlich. Aber: ich bin da.

 

Ich bin da und ich heiße Jana.