H. Masud Taj (Indien / Kanada) wurde 1956 in Moradabad, Uttar Pradesh geboren. Er wurde in Bombay und in Panchgani (an der gleichen Schule wie Manohar Shetty) erzogen. Er rezitiert Gedichte, indem er in Folge die Rezitation eine Rückkehr zu einer frühen Urdu-Tradition hört; und er hat erst kürzlich begonnen, seine Gedichte in gedruckter Form zu sammeln. Er lebt in Ottawa und arbeitet als Architekt und Kalligraph. Taj unterrichtet an der Carleton University School of Architecture.

 

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LIBELLE

 
Mein Kopf

  eine Augen-Konferenz;

Zu viele Standpunkte bin ich.
 
Meine Füße
  entlassene Haare.
Vorläufigkeit war nie so beharrlich.
 
Mein Körper

 

  eine bescheidene Untertreibung;
Aus einem Blickwinkel zerbrechliches Heck.
 
Meine Flügel
  sehnsüchtige Blätter;
Transparenz wird nicht Photosynthese. 
 

Meine Zunge
– steht unter Feuer;
Ich muss meinem Namen gerecht werden.

 

 

ANFLUG AUF MANHATTAN

 

Verkohlte Fäden Kalligrafie, die 

Beklagen, dass sie einander verlieren

 

An Gedanken, die sich von Nord nach Süd kehren.

Zurück über Erdgelb, Hügelgrün, Himmelblau:

 

Weiße Wolken holen Luft, treiben fort,

Winde gehen ein, wir rutschen vom Schirm, atmen aus.

 

Rückkunft ins Schlittern auf rot-gelben 

Synapsen eines glühenden Internet-

 

Elektro-Diagramms, das eben zusammen kabelt,

was es auseinander hält, drei Fließquadrate:

 

Blut ist in einem, den Horizont grün, auf-

Gelöst in einem unglaublich blauen Himmel.

 

Flugzeug, wie`s ein anderes verlässt, 

Grenzen lässt, solang die noch stimmen.

 

Wasser, im letztgültigen Rahmen, 

Beim Anflug auf Manhattan.

 

Nichts kann dem, was dann passiert, Einhalt gebieten,

Aber das hab ich nicht sagen wollen, ehrlich,

 

Darauf wollt ich überhaupt nicht hinaus.

 

 

leibesszenarien

 

Und wenn der Schädel an Sprüngen auseinanderklafft,

embryonisches Rückspulen auf einer Richterskala,

tektonische Platten stotternd ins Rutschen geraten,

der Zusammenhalt der Sphäre zerbricht, zickzack splittert...

 

Und wenn die Hirnhälften überkreuz geraten,

Links und Rechts einander neu definieren,

Synapsen ihren Zwischenraum verformen,

Neuronenimpulse sich am Ausgang stauen...

 

Und die Augäpfel sich verwickeln,

erstmals den Blinden Fleck anvisieren,

auf der optischen Chaussee zum Zentrum hinschleimt,

bis die Sicht ihre Quelle selbst kurzschließt.

 

Und wenn das innere Gehör sich neu einstellt,

halbkreisförmige Kanäle sychronisiert und anschließt:

Erhebung sich dreht wie eine Gewebebinde,

bis sich nicht mehr sagen lässt wohin man sich bewegt.

 

Und wenn die Lungen außer Atem kommen,

ihre Dimensionen lockern, welk werden,

zu runzligem Laub zusammenschrumpfen,

photosynthetisches Flüstern werden.

 

Und wenn Herzklappen ihre Ausgänge nicht kontrollieren

während das faustgeballte Muskelpumpen anhält,

Blut in betrunkne Läufte spritzt,

im Handgelenk der Puls auf Neues wartet.

 

Wenn Kapillare sich weiter noch verzweigen.

Kreuzzungen zusammen gehen beim Unterteilen

Blutkörperchen ihren Durchlauf glatt verweigern,

Organe verschlingen in einem fruchtbaren Drang.

 

Und wenn Knochen dann nicht mehr gehorchen,

bis aufs Mark zerquetschen, den ganzen Raum zerstreuen,

Kugeln und Pfannen nicht zusammen gehen

Ellbogen und Kniegelenk verkehrt sich beugen.

 

Und wenn sich die Haut nach außen stülpt,

ihr glänzendes Darunter herzeigt:

Mandeln, Haarwurzeln, rohe Nervenenden,

mit Härchen drinnen als ob’s Seegras wär,

 

und wenn dein Samen knacken würd den Code,

die Gene durchmischte mit Wahnsinnsfreude,

das Gerüst der Helix abbauen würde,

mutiertes Niederkauern in einem blinden Gang.

 

 

 

 

DRAGONFLY


My head
Is a conference of eyes;
I hold too many points of view.
 
My feet
Are displaced hair;
Tentativeness was never so tenacious. 
  
My body
Is an understatement;
Fragile stem at an angle. 
  
My wings
Are nostalgic leaves;
Transparency cannot photosynthesize.
 
My tongue
Is on fire;
I have a name to live up to.

 

 

 

APPROACHING MANHATTAN

 

Charred threads of calligraphy

Lamenting as they lose themselves

 

To thoughts that turn from north to south.

Return via yellow earth, green hills, blue sky:

 

White clouds inhale and drift away,

Winds die, we escape the frame; exhale.

  

Return to slip slide on red and yellow 

Synapses of a scorching Internet

 

Electronic diagram wiring together 

While keeping apart three floating squares:

 

Blood in one, with a green horizon 

Displaced in a sky unbelievably blue.

 

Airplane leaving another,

Leaving borders as yet intact.

 

Water, in the final Frame,

Approaching Manhattan.

 

Nothing can stall what happens next

But that is not what I meant, I swear, 

 

 

That is not what I meant at all.

 

 

 

BODY SCENARIOS

 

 

What if the skull separates at fissures,

Embryonic rewind on a Richter scale,

Seismic plates slide and stutter

Break the sphere’s hold, zigzag and splinter.

 

What if the brain-hemispheres cross over,

Left and Right redefine themselves,

Synapses warp their interspace,

Neuron-impulses gather at the gate.

 

What if the eyeballs involute,

Stare at the Blind-spot for the first time,

On the optic causeway sucking to the centre

Till sight short-circuits its source itself.

 

What if the inner ears realigns,

Semicircular canals synchronize and fuse:

Torus twisted as a tourniquet

Till you can’t tell which way you move.

 

What if the lungs loose their breath,

Loose their dimensions and wither,

Shrink into wrinkled leaves,

Into  photosynthetic whispers.

 

What if heart-valves abandon their passes

While tight-fisted muscles’ pumping continues,

Blood sloshes in drunken courses,

Pulse in the wrist waits for the news.

 

What if capillaries keep on branching,

Cross section converging as they subdivide

Denying corpuscles their passages,

Engulfing organs in a fecund drive.

 

What if bones disobey,

Squeeze the marrow, dispel all space,

Balls and sockets disagree,

Elbows and knees swing the other way.

 

What if the skin turns inside out,

Displays its glistening underneath :

Glands, hair-roots, nerve endings raw,

Hair sprouts within as sea-weeds.

 

What if your seed cracks the code,

Shuffles the genes with a manic glee,

Deconstructs the helix scaffold,

Mutant crouching in a blind alley.

 

 

 


Ute Eisinger ist eine österreichische Dichterin, Übersetzerin und Lektorin die in Wien lebt und arbeitet. Sie veröffentlicht laufend in Anthologien, zahlreiche Aufsätze und Beiträge in Zeitschriften und rezensiert für literaturkritik.de, der Onlinezeitschrift des Instituts für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Universität Marburg sowie für fixpoetry.com. Parallel dazu hielt und hält die Mutter dreier Kinder wissenschaftliche Vorträge zu den Themen „Historische Seismizität, Methoden und Forschungen“, „Die Nachdichtung als literarische Gattung“, „Experimentelle Literaturwissenschaft“ und „Geschichte, Literatur und Film Georgiens“ sowie Lesungen im In- und Ausland.