Maksym Ilijan (USA/Österreich)1992 in Kalifornien geboren, in einem Vorort San Franciscos aufgewachsen. Studium der Germanistik in Berkeley, Berlin und Graz, mit zweijährigem Intermezzo als Native Speaker für Englisch in Kärnten. Mitglied im Kollektiv Sprachwechsel, Veröffentlichungen in ‚lichtungen‘, ‚zugetextet.com‘, und ‚der wolf verlag‘. 2018 wurde sein Gedichtband ‚Ich habe mich verwählt‘ vom Kulturamt der Stadt Graz gefördert.

Er lebt zurzeit in Wien.

 

Deutsch

 

IM ALLERHEILIGSTEN,

ODER:

DIE ANGEBISSENE FRUCHT

 

Anton hatte nicht schlafen können. Weniger, weil er vom kommenden Tag Unheilvolles erwartete, als dass der ihm bevorstehender Besuch ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Am liebsten hätte er den Besuch unterlassen und seinen Grund selbst beseitigt, aber ein solches Ausweichen war ihm unmöglich, denn es hätte Kenntnisse erfordert, die für ihn unerreichbar waren. Er hatte den Besuch bereits tausendmal im Kopf wiederholt, die Antworten auf alle möglichen Fragen zurechtgelegt, Vorwürfe abgewehrt. Er sah einen gewaltigen Widerstand gegen sein Vorhaben voraus, den er bereits in Gedanken vorwegnehmen, brechen musste, und wälzte sich im Bett hin und her.

            Er hatte den Bau, den er heute betreten würde, bisher nur von außen betrachtet. Die hohe, futuristische Fassade schien nicht zur Wirklichkeit zu gehören, umso mehr, als das sie umgebende Haus sich in barocken Verschnörkelungen verlor. Im Vorbeigehen stellte er immer wieder fest, wenn er wie zufällig einen Blick durch die erdrückenden Fensterscheiben warf, dass eine rege Tätigkeit das Innere des Baus belebte. Diese Geschäftigkeit war rätselhaft, wie die Bewegungen eines unbekannten Tanzes, sie stand nach seiner Auffassung in unversöhnlichem Gegensatz zu der ruhigen, selbstbewussten, souveränen Ausstrahlung, die im Namen des Baus bemüht wurde.

            Der Grund für seinen Besuch lag vor ihm auf dem Küchentisch. Während er seinen Kaffee trank, sah er bereits das bläuliche Licht durch die unendlich hohen Fenster glühen, es glich dem Glühen des flachen Glases, das die Vorderseite des vor ihm liegenden Geräts kleidete. Eigentlich muss ein neues Wort dafür erfunden werden, dachte er; Gerät, Apparat, Maschine – das alles trifft nicht zu. Selbst Rechner, sagte er sich, passt schwerlich zu diesen Dingen, es ist schon lange her, dass bloß Rechenaufgaben damit gelöst würden. Sie waren Monolithen, ihr Äußeres war inert, nahezu nahtlos; nur zwei winzige Schrauben verrieten, dass mehr dazu gehörte als eine hochpolierte Oberfläche. Es gab nichts, was an ihnen als beweglich bezeichnet werden könnte. Auch im inneren nicht, dort gab es nur Platten, mit kleinen Bestückungen versehen und mit flachen Bändchen miteinander verknüpft. Er hatte einmal, in einem Anflug von Mut, die Schrauben gelöst und das Glas entfernt, um an die Heilung seines Geräts sich heranzuwagen. Die minutiöse Komplexität der Komponenten, die er in den Eingeweiden des Gerätes fand, hatte ihn sofort eingeschüchtert; er war davor zurückgeschreckt.

            Obwohl er einen Termin hatte, ging er zu Fuß, in der Hoffnung, dadurch sein Betreten des Baus hinauszuschieben. Er wählte gähnende Seitengassen, versuchte, mit jedem bewussten Gedanken seinen Schritt zu verlangsamen, im Wissen, dass er sich dennoch dem Bau immer näherte. Er entwarf kühne Pläne, die nötige Arbeit doch noch selbst zu verrichten; statt in den Bau einzutreten, ein in der Nähe befindliches Werkzeuggeschäft zu besuchen und dort alles Notwendige zu beschaffen. Er sah den alten Ladenbesitzer ihn herzlich begrüßen und mit einem halb zu sich selbst gesprochenen, abfälligen Wort über den Bau eine Nische als Arbeitsplatz zuweisen.

            In der Träumerei versunken, merkte er nicht, dass der Moment seiner Ankunft bereits gefährlich nah herangerückt war. Erst als er aus dem glücklichen, leider so unmöglichen Traum erwachte, erkannte er den Bau vor sich, der vor ihm aus der ebenen Erde ragte, ja über ihr zu thronen schien. So sehr das Schwarz der Fenstereinfassungen von dem Grau der gepflasterten Straße und dem Weiß der benachbarten Häuser sich abhob, wirkte es auch wie eine Tarnung, die den Bau unscheinbar, nahezu unsichtbar machte. Zu diesem Eindruck trug dazu bei, dass kein Schriftzug auf der Fassade prangte. Stattdessen war nur, links und rechts von der breiten Doppeltür, das Wahrzeichen des Baus angebracht: die angebissene Frucht. Dieses Wahrzeichen, souverän in seiner Eindeutigkeit, machte jede Schrift überflüssig.

            Als er endlich vor dem Bau stand, kam es ihm noch größer vor als in der Erinnerung, das Licht aus dem Innern des Baus noch greller. Er konnte das geschäftige Treiben, das er hinter dem hellen Schein wusste, kaum wahrnehmen, und der gesamte Vorplatz des Baus war wie in einer tiefen Dunkelheit getaucht. Der Bau, so wurde es ihm eindeutig, gehörte nicht zu dem Haus, in das er eingefügt war, sondern war eine Affliktion, die die Substanz des Hauses angriff. Um für den Bau Platz zu machen, wurde eine Höhle aus dem Haus herausgeschabt, nur durch diesen Eingriff konnte der Bau ein Teil des Hauses werden, er musste es zerstören, um als notwendige Stütze die Last des Hauses auf sich zu nehmen wie ein allzu williger Atlas. Doch war das jahrhundertealte Haus selbst eine Stütze für den Bau, der es umschloss, verbarg, veränderte. Die Fenster, Augen des Hauses, wurden weit aufgerissen, zum ewigen Leuchten gezwungen; die schwarze Umrandung verriet ihre Müdigkeit. Anton fragte sich: Wie oft wurde dieses Haus schon umgebaut, wie viele Räume aus ihm herausgerissen? Nur hier und dort, an den Rissen in der Putzschicht, konnte er die Geister der Vergangenheit erahnen. Wie viel davon konnte noch als historisch gelten? Was für ein runzliges, verkümmertes Wesen versteckte sich unter all der Kosmetik? Er stellte sich vor, wie er, die Fassade Schicht um Schicht abschälend, das Haus von der vergoldeten, erstarrten Zeit befreien und, einem Archäologen gleich, unter dem falschen Glanz seine wahre Vergangenheit entdecken würde.

            Zwei Türhüter traten aus der Dunkelheit des Vorplatzes und auf Anton zu. Die mächtigen Gestalten waren gänzlich schwarz, in Pelzmänteln gehüllt; ihre Gesichter mit spitzen, schwarzen Masken verdeckt. Anton näherte sich den Türhütern langsam. Je näher er kam, umso bedrohlicher wirkten sie auf ihn. Ihre Schatten krochen ihm zu, griffen nach ihm, bedeckte ihn mit ihrer seufzenden Finsternis ohne Trost. Er bat um Eintritt in den Bau. Schon dieses Bitten war Anton wie eine Demütigung. Es kam einem Geständnis gleich, einer Beichte, als müsste er aller Welt damit sagen: Ich schaffe es selber nicht; mein Wissen reicht dafür nicht aus. Mit ihren seltsam gedämpften Stimmen verlangten die Türhüter seinen Code, den Nachweis seiner Gesundheit. Es war die erste Hürde, dieses Attribut, das beinahe zur Selbstverständlichkeit verkommen war, so sehr, dass Einrichtungen für Kranke überflüssig zu werden schienen, ihre Finanzierung als Last empfunden.

            Das gepunktete Viereck hielt er ihnen vor. Da er es auf einem Blatt Papier ausgedruckt hatte, konnten ihre Geräte den Code nur schwer entziffern. Die darin enthaltenen Informationen, nur durch Vermittlung der Geräte zugänglich, blieben verborgen. Anton sah den Eintritt unendlich hinausgeschoben, er rückte mit jeder Drehung des kleinen Kreises, das den Arbeitsgang der Geräte bekanntgab, in immer undeutlichere Ferne. Er starrte den Kreis an, wie er die Illusion der Bewegung auf dem Bildschirm hervorrief. Der Kreis war der Ausdruck einer Sprache, die stets unsichtbar blieb, und doch war jede Funktion der Geräte von dieser Sprache gezeichnet, wie ein elektrisches Licht an die wirbelnden Turbinen eines Kraftwerks erinnerte. Auch hier wurde Energie verschlungen; die unsichtbare Sprache verlangte ihre Opfer. Eine tonartige Substanz im Zentrum des Geräts hielt die Stromstunden gefangen, bis die Sprache sie zur Arbeit rief, von der sie nie zurückkehrten.

            Als es den Türhütern endlich gelang, Antons Daten dem Code zu entnehmen, nickten sie ihm zu; er hatte die Erlaubnis zum Eintritt bekommen. Ein Pförtner, der bis dahin unbeweglich hinter der Tür gestanden war, zog die schwere Glastür gemessen auf. Die einzige Tätigkeit dieses Pförtners bestand darin, wie auf ein geheimes Zeichen der Türhüter dem Besucher den Eintritt zu gewähren. Er war, ganz der Feierlichkeit seiner Funktion gemäß, in einem gutsitzenden Anzug gekleidet, und neigte kaum merklich den Kopf, als Anton an ihm vorbeischritt und in den Saal des Baus trat.

            Zwischen der äußeren und inneren Erscheinung des Baus schien es keinen Zusammenhang zu geben. Die Dunkelheit des Vorplatzes machte einer durchdringenden Helligkeit Platz, deren Intensität von draußen, selbst im Lichtschein der Fenster, nicht zu erahnen war. Anton blinzelte unwillkürlich, sah zu Boden, bis sich seine Augen an das Strahlen gewöhnt hatten. Die Unschärfe der Formen, die den Saal ausfüllten, löste sich allmählich auf. Er sah lange hölzerne Bänke, um die sich Trauben von Menschen sammelten. Männer mit roten Shirts eilten hin und her. Weiter hinten waren seltsame, unförmige Schemel peinlich aufgereiht, umgeben von runden, hier und dort ballartig aufgeblähten Polstern aus braunem Leder. Die Polster lagen, im auffälligen Gegensatz zu den sorgfältigen Reihen der Schemel, ungeordnet herum, wie eine Spiegelung der Ansammlungen um die Bänke im Kleinen. Etwas, vielleicht ebendiese Unordnung, hielt die Leute von den Schemeln fern. Vertäfelungen an den Wänden bildeten Auslagen, wo die neuesten Geräte wie Reliquien ausgestellt waren. Anton sah zur Zimmerdecke hinauf; sie kam ihm niedriger vor, als die hohe Fassade vermuten ließ. Keine Lampen waren sichtbar, die Decke selbst leuchtete, eine einzige, weiße Fläche.

            Ein großer Mann, der unbeweglich vor der ersten Bank stand, fragte Anton nach dem Anlass seines Besuchs. Er trug zwar auch ein rotes Shirt, zeichnete sich jedoch durch seine außergewöhnliche Größe ebenso wie durch seine Unbeweglichkeit aus. Da er offensichtlich zur Erhörung befugt war, vermutete Anton, dass dieser Mann, zweifellos auch einer der Türhüter, außergewöhnlich mächtig sein musste, und seine Bekleidung bloß ein Täuschungsmanöver, um ihn, den Bittsteller, zu entwaffnen. Dass das Gerät, das dieser Türhüter bediente, auch beträchtlich größer war, schien seine Vermutung zu bestätigen. Der Türhüter schüttelte nur den Kopf, als Anton ihm seine Anwesenheit zu erklären suchte, und zeigte auf sein Gerät. Anton zeigte nun seinen zweiten Code vor, dieser die Einzelheiten zu seinem Besuch im Bau erfassend. Der Türhüter ließ die Information auf sein Gerät übertragen und las sie sorgfältig durch. Dann zeigte er in die hinterste Ecke das Baus hin. Seine ausgestreckte Hand befahl Anton, dort die Treppe zu besteigen.

            Es gibt also weitere Räume in diesem Bau, dachte Anton, während er auf die Ecke zuging, auf die der Türhüter hingewiesen hatte. Noch sah er die Treppe nicht, die so völlig vor den Blicken der Uneingeweihten verborgen war, fühlte sich aber bereits über das Tummeln im Saal erhaben. Er sagte sich, dass die gehetzte Bewegung hier nur einer ganz niederen Tätigkeit entspräche, kaum des Baus würdig, er selbst aber dürfe den Naos betreten, da er den Türhütern gegenüber gebührend Achtung erwiesen hätte.

            Die Treppe erstreckte sich nun vor Anton. Sie führte gerade hinauf, nur zwei scheinbar zwecklose Absätze unterbrach ihr stetiges Steigen in unbekannte Sphären. Ihre Stufen waren aus einem weißen Stein gehauen, und die steilen, mit Steinplatten verkleideten Wände ließ die wirkliche Höhe des Baus erahnen. Und doch schien die Treppe ins Leere zu führen. Überhaupt gab es niemanden, der hinauf- oder herabstieg, und der oberste Absatz wirkte von unten wie vermauert. Anton witterte einen Streich des großen Türhüters, ergriff aber das Messinggeländer und zog sich von Absatz zu Absatz, immer tiefer in den Bau hinein. Es kann sich um keinen Irrtum handeln, versicherte er sich. Alles im Bau war berechnet und berechenbar, bestimmt von der unsichtbaren Sprache, mit der sich die vielen Geräte untereinander verständigten und die selbst zwischen den Menschen, die hier sich aufhielten, zum alleinigen Mittler geworden war.

            Oben angelangt, wurde Anton erneut von einem rotgekleideten Türhüter aufgehalten. Über die Schulter dieses Türhüters, der untersetzt war und unverhältnismäßig klein wirkte, erblickte Anton die Weiten eines weiteren Saals. Wortlos zeigte er seinen Code vor, er wusste schon. Der Türhüter prüfte ihn mit seinem Gerät, war zufrieden und ließ Anton passieren. Wie der untere Saal war auch dieser hell, die langen Werkbänken nahmen jedoch den ganzen Raum ein. Nicht mehr waren die Bänke von Menschen umwimmelt, nur vereinzelte Gestalten saßen hier und dort daneben und warteten. Der Türhüter führte Anton, an den Menschen vorbei, zu einem freien Platz. Dort gab er ihm einen Schemel und ließ ihn seitwärts von der Bank sich niedersetzen. Anton hatte so viele Fragen, doch der Türhüter war schon zum Treppenabsatz zurückgekehrt.

            Er war von einer Enttäuschung erfüllt, die er sich nicht erklären konnte. Er hatte erwartet, hinter die Parochet zu treten. Hier hätte die Offenbarung geschehen sollen, war er doch tiefer in den Bau hineingedrungen, war er doch aufgestiegen. Aber er war gar nicht weitergekommen. Die Bänke um ihn profanierten den Bau. Er unterdrückte den Wunsch, zu schreien, zu toben, die Bänke umzustoßen.

            Während er dasaß, kamen immer mehr Leute an und wurden an die Plätze verwiesen. Es fiel ihm auf, dass hauptsächlich Frauen in diesem Saal warteten. Und die Rotgekleideten ausnahmslos übergewichtige Männer, die unentwegt ihre glühenden Geräte anstarrten und im Raum kreisten wie Fliegen. Sie beschäftigten sich mit dem Auf- und Zumachen von vielen schmalen Schubläden, die an den Enden der Bänke versteckt waren, dann rasten sie wieder davon. Sie schienen weder Anton noch den Frauen zu beachten, sondern nur nach ihren eigenen Regeln sich zu bewegen. Der Saal war wie eine Werkstatt eingerichtet, doch fehlten die Maschinen, die Werkzeuge. Es gab nur die vielen Geräte; Patient und Arzt, Beter und Priester zugleich.

            Das Warten wurde immer unangenehmer. Anton schwitzte. Er sah um sich, es schien aber niemanden sonst zu stören. Zwar glaubte er, dass über den Rand ihrer Masken die Missstimmung hervorschaute, konnte aber nicht deren Quelle bestimmen. Alle saßen da, noch in ihren schweren Mänteln gehüllt, und blieben geduldig. Die Geschäftigkeit im Bau muss die Ursache der Hitze sein, sagte er sich, und wunderte sich, ob es nicht eigentlich Absicht war, ob nicht alles nicht darauf zielte, die Menschen aus dem Bau wieder zu vertreiben, wenngleich die Einrichtung wohlig und einladend wirken wollte. Nicht das Verweilen, sondern das Kommen und Gehen gehörten zum Wesen des Baus, und es oblag der Temperatur, diese zwei Gegensätze zusammenzuschweißen.

            Eine Wand war bis zur Decke mit Pflanzen bedeckt. Sie waren so aufgehängt, dass sie nicht nach oben, sondern in den Raum hinein wuchsen, als würde in diesem Saal die Schwerkraft andere Gesetze befolgen. Überhaupt galten in diesem Raum andere Gesetze, die für einen Außenstehenden wie Anton schlicht unbegreifbar erschienen. Allmählich jedoch wurde ihm eine Art Ordnung, ein System hinter den Bewegungen der beleibten Männer bewusst, die dadurch zwar nicht weniger fremd, aber zumindest zielführend vorkamen. Er begann auch, die Männer im Einzeln zu betrachten und ihre individuellen Züge erkennen. Nach und nach konnte er zwei Gruppen unterscheiden, denen die Männer angehörten. Vielleicht war diese Einteilung auch nur ein Produkt seiner Fantasie. Je mehr er sich aber damit befasste, desto überzeugter wurde er von ihrer realen Existenz. Zu der ersten Gruppe gehörten diejenigen, die eine Baseballkappe mit flachem Schirm trugen. Sie bewegten sich schneller als die anderen und hatten besondere Befugnisse mit Bezug auf den Zugang zu den Schubladen, die sie mittels Ausweiskarten oder Kästen an der Hinterseite ihrer Geräte entsperrten. Aus den Laden nahmen sie wieder Geräte oder Kabel und eilten davon. Den Bekappten war es allerdings nicht erlaubt, die höchsten Entscheidungen zu treffen. Dafür mussten sie die zweite Gruppe heranziehen. Diese andere Schar bestand aus Grauhaarigen, deren lange Locken zu einem Knoten hoch am Hinterkopf gesammelt waren. Mit ihrem langsamen Gang schritten sie durch den Raum und warteten auf den Zuspruch der Bekappten, sie gingen mit der zur Schau gestellten Würde eines höheren Standes. Einige Jünger dieses Standes, die sich die Kappe entledigt hatten aber noch nicht das Vorrecht des Haarknotens genossen, folgten den Hohepriestern und umsorgten sie.

            Anton betrachtete flüchtig die Frauen, die warteten, und fragte sich, welche Gebrechen sie hierher gebracht hätten. Wenn auch die Erscheinung der Geräte von zweifelloser Schlichtheit geprägt war, entsprangen ihren Tiefen myriade Leiden. Er fragte sich, ob das Warten schon immer ein so wichtiger Teil der Wartung gewesen sei; ja ob sogar der Hauptteil dieser von Fachleuten so geheimniskrämernd verschleierten Tätigkeit darin bestünde, recht einfache Dinge in die Länge zu ziehen und durch diese Verzögerung allein die Aura der Schwierigkeit heraufzubeschwören.

            Ein Bekappter tauchte vor Anton auf und unterbrach seine Wunderungen. Er bestätigte den Zweck von Antons Besuch und versicherte sich mit ein paar Phrasen das Recht des Zugriffs auf Antons Gerät. Er sprach in einem Ton, der höflich klang, zugleich aber bar jeder Höflichkeit war. Seine Rede war autoritär, doch auch zögerlich, unbeholfen. Er sprach leise und gedrungen, seine Worte waren durch die makellose Maske kaum vernehmbar. Er bediente sich Floskeln, die er häufig wiederholte und nur durch klaffende Stille zu verbinden wusste. Während er sprach, blieb sein Blick auf sein Gerät fixiert, und der breite Schirm seiner Kappe versperrte die Sicht auf seine Augen. Er schien überhaupt nur mit seinem Gerät zu sprechen, dem er zuflüsterte und mit Liebkosungen zur Tätigkeit anregte. Auf jeden zarten Handgriff reagierte das Gerät mit wechselnden Farben und leisen, angenehmen Tönen. Gleichzeitig drehte er Antons Gerät hin und her, begutachtete es, drückte hier und dort mit dem Daumen darauf.

            Plötzlich ließ er Antons Gerät, mit einer flinken Drehung des Handgelenks, über das seine gleiten. Es erweckte, wie von einer Innervation belebt. Die Kommunikation der Geräte war unmittelbar und präzis. Der Bekappte hielt im Sprechen kurz inne, dann sagte er: Es gäbe ein Problem, er müsse sich kurz entschuldigen. Damit stand er auf und ging, und nahm die Geräte mit. Anton folgte ihm mit seinem Blick, er war zu einer Tür gegangen, die Anton bisher nicht aufgefallen war. Dort also, dachte er, ist der Lettner, die steinerne Trennwand, dahinter werden die Leber gelesen, die Orakelsprüche gefällt. Dort verstecken sich die geheimsten Apparate der Weissagung vor den Blicken der Unwürdigen. Wie viele Allerheiligste gibt es noch in diesem Tempel des Künstlichen? Die Welt ist nicht mehr dreigeteilt, es gibt kein Zentrum, in das einzudringen es möglich wäre. Auch dieser Bau ist nur ein Vorplatz, an dem die Opfer dargebracht werden einem fernen Gott. Wen wird hier bedient?

            Wieder musste er warten. Es gab etwas Beunruhigendes an den Pflanzen, die in das ewige, blaue Licht des Saals hineinwuchsen. Sie wuchsen. Sie waren echt. Nichts im Bau war echt, nicht das Licht von der Kunststoffdecke, nicht die Kunststeinplatten an den Wänden noch die Werkbänke, deren Plastikfurnier das Holz bloß stümperhaft, hirnholzlos nachahmte, noch die Interaktionen zwischen den Menschen und den Dingen, die sie erschufen aber nicht begriffen. Inmitten all dieser Künstlichkeit hingen Leben, aufgehoben und herausgelöst aus der Zeit, gezwungen zu wunderhaften Unnatürlichkeiten, betrogen um die Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz.

            Der Bekappte kam zurück, sein Gesicht schwer mit Bedauern. Anton fragte, ob sie den beabsichtigten Eingriff würden durchführen können. „Es ist möglich“, sagte der Bekappte, „jetzt aber nicht.“

 

 

 

Englisch

IN THE INNER SANCTUM,

OR:

THE BITTEN FRUIT

 

Anton hadn’t slept. Not because of any misgivings about the breaking day, rather the impending visit had kept him from rest. He would have preferred to avoid the visit, disposing of its cause himself, but such was impossible. It would have required knowledge inaccessible to him. He had gone over the visit in his head a thousand times, readied answers to all the questions the thought possible, and fended off accusations. He foresaw massive resistance to his intentions, which he had to anticipate, to break, and tossed and turned in his bed.

            Thus far, he had only seen the structure he would be visiting from the outside. The high, futuristic facade seemed not to belong to this reality, accentuated by the baroque ornamentations of the house enclosing it. In passing, throwing a seemingly chance glance through the immense windows, he noticed the interior of the structure was constantly alive with bustling activity. This bustle was mysterious to him, like the movements of an unfamiliar dance. Anton found it an irreconcilable contrast to the calm, self-confident, sovereign aura the structure’s name was intended to represent.

            The reason for his visit lay before him on the kitchen table. While drinking his coffee, he could already see that blueish light glowing through the unendingly high windows, it was the same glow that emanated from the smooth glass of the device lying there in front of him. A new name really needs to be invented for these things, he thought; device, apparatus, machine – nothing fits. Even computer, he said to himself, doesn’t work for them, the days are long gone since they merely computed. They were monoliths, their exterior inert, nearly seamless; only two tiny screws betrayed the presence of something beneath the polished surface. No part of them could be considered movable. Even on the inside there were only plates, dotted with small elements and connected to one another by flat ribbons. Once, in a zealous fit, he had loosened the screws and lifted the glass, in the hope of mending his device himself. There, in the device’s innards, he found a minute complexity of components that intimidated him and he shrank from the task.

            Though he had an appointment, he walked, hoping to delay his arrival at the structure. He chose yawning side streets, sought to slow his pace with every conscious thought, knowing that he nonetheless came ever closer. All the while he devised bold plans to do the necessary work himself; instead of entering the structure, he’d visit a nearby hardware store and buy everything he needed. He imagined the old shopkeeper greeting him warmly and showing him to a nook to work, while muttering disparagingly, half to himself, about the structure.

            Deep in this reverie, he hardly noticed that the moment of his arrival was dangerously near. Only when he awoke from his contented, yet so impossible dream did he recognize the structure rising up before him out of the featureless earth as if enthroned above it. Although the black of the window frames stood out against the grey of the cobbled street and the white of the neighboring buildings, it seemed to be a camouflage as well, rendering the structure inconspicuous, almost invisible. This was heightened by the fact that no lettering emblazoned the facade. Instead, only the structure’s symbol hung to both sides of the wide double-door: the bitten fruit. This symbol, sovereign in its unambiguity, made any script superfluous.

            Finally standing before the structure, he thought it even larger than he remembered, the light emanating from its interior even more garish. He could hardly recognize the busy doings he knew to be behind the glow, and the entire square in front of the structure seemed plunged in darkness by it. It became clear to him the structure was not a part of the building into which it had been inserted, but an affliction infecting its substance. To make space for the structure, a cavity had been scraped out of the building. The structure had become a part of it only through this operation. The structure had had to destroy the building, to then take up its weight like an all too willing Atlas. And yet the centuries-old edifice was itself a support for the structure that enclosed, hid and transformed it. The windows, eyes of the house, had been torn open, forced to glow eternally; black rings exposed their exhaustion. Anton asked himself: How often has this building been altered, how many rooms ripped out? The ghosts of the past could only be made out here and there, through the cracks in the plaster. How much of it was really historical? What kind of wrinkled, withered being was hiding beneath all those cosmetics? He imagined himself peeling away the facade layer by layer, freeing the house from the gilded, ossified past and, like an archaeologist, discovering its true history under the false splendor.

            Two doorkeepers emerged from the darkness of the structure’s forecourt and approached Anton. The mighty figures were completely black, wrapped in fur coats; their faces were hidden by pointed black masks. Anton moved towards them slowly. The closer he came, the more threatening they seemed to become. Their shadows crawled towards him, grabbed at him, enveloped him in a sighing, hopeless blackness. He requested entry into the structure. The request alone was like a humiliation for Anton. It was an admission, a confession, as if he were telling the whole world: I can’t do it, my knowledge isn’t enough. The doorkeepers demanded his code with their strangely muted voices, his proof of health. This was the first hurdle, that attribute so taken for granted that institutions for the sick began to seem superfluous, their financing a burden.

            He held up his dotted square. It was printed on a sheet of paper, the doorkeepers’ devices were unable to decipher it at first. The information contained in the code, only accessible for devices, remained hidden. Anton saw his entrance to the structure endlessly belayed, pushed ever father into an indeterminate future by the endless rotation of that tiny ring that signaled the device’s working. He stared at the ring, watching how it created the illusion of movement on the screen. The ring was the expression of a language forever invisible, and yet every function of the device was marked by the language, just as an electric light calls to mind the whirling turbines of a power plant. Here, too, energy was being devoured; the invisible language demanded sacrifice. A claylike substance in the device’s core held the necessary watthours imprisoned until the language called them to work, never to return.

            When the doorkeepers finally succeeded in retrieving Anton’s data from the code, they nodded to him; he had been granted entry. A doorman, who had been standing motionless behind the door up to this point, dutifully pulled the heavy glass door open. The doorman’s only charge consisted in admitting visitors to the structure as if on a secret sign from the doorkeepers. He wore a well-fitted suit, in accordance with the solemnity of his function, and bowed his head ever so slightly as Anton passed him and entered the structure’s hall.

            There was no apparent correlation between the internal and external appearance of the structure. The darkness of the exterior made way for a piercing brightness, the intensity of which was unimaginable from the outside, even when looking through the gleaming windows. Anton blinked involuntarily and averted his gaze until his eyes had adjusted to the brightness. The blur of the shapes filling the room slowly resolved. He saw long wooden tables surrounded by groups of people. Men in red shirts move hurriedly from place to place. Farther back in the room, strange, shapeless stools were lined up meticulously, surrounded by round brown leather cushions, some distended and ball-like. The cushions lay in disarray, in conspicuous contrast to the careful rows of stools, as if some kind of likeness of the hall’s crowds in miniature. For some reason, perhaps the disorder, no-one neared the stools. Paneling on the walls constituted the displays, where the newest devices were presented like relics. Anton looked up to the ceiling; it was lower than he expected, considering the facade. There were no bulbs visible, the ceiling itself shone, a single white plane.

            A tall man, standing immobile at the head of the first table, asked Anton the occasion of his visit. He wore a red shirt, as did the others, but distinguished himself from them by his exceptional size as well as his motionlessness. As he seemed authorized to hear the visitors’ pleas, Anton presumed that this man, clearly another kind of doorkeeper, was exceptionally powerful, and his clothing was only a ploy meant to disarm. This presumption seemed confirmed by the fact that the device this doorkeeper used was also of considerable size. Anton began to explain his presence, but the doorkeeper only shook his head, pointing to his device. Anton presented a second code, this one documenting the particulars of his visit to the structure. The doorkeeper transferred the information to his device and read it over carefully. He then pointed to the far corner of the structure. His outstretched hand commanded Anton to mount the stairs he would find there.

            So, there are other rooms in this structure, Anton thought as he moved toward the corner of the hall the doorkeeper had indicated. He hadn’t yet seen the stairway, which was so completely hidden from the gaze of the uninitiated, but already felt above the bustle in this hall. He said to himself, the rushed movements here are merely part of some low activity, hardly worthy of the structure. He himself, however, was allowed to enter the naos, as he had shown the gatekeeper the proper respect.

            The stairway stretched out in front of Anton. It led straight upwards, its steady incline into unknown spheres broken only by two seemingly pointless landings. Its steps were cut from a white stone, and the steep stone-faced walls revealed the true height of the structure. And yet the stairway seemed to lead nowhere. Not a single person was climbing or descending the stairs, and from below, the upper landing looked walled-off. Anton suspected a trick by the doorkeeper, but nevertheless took hold of the brass railing and pulled himself from landing to landing, ever deeper into the structure. It can’t possibly be a mistake, he assured himself. Everything within the structure was calculated and predictable, determined by the unseeable language with which the many devices communicated and which had even become the sole mediator between those visiting here.

            At the top, Anton was stopped yet again by a doorkeeper in red. Anton saw the expanse of another hall over the doorkeeper’s shoulder, who was stocky and seemed unusually small. He showed his code wordlessly, he knew by now. The doorkeeper checked it with his device, and, satisfied, let Anton pass. Like the lower hall, this one too was brightly lit. The workbenches, however, took up the whole space. There were no longer any crowds swarming around them, only a few individuals sat here and there and waited. The doorkeeper took Anton past them to a free space. He gave him a stool and let him take a seat next to the table. Anton had countless questions for him, but he had already returned to the landing.

            He was soon filled with a disappointment he couldn’t explain. He had expected to move beyond the parochet. Here he should have had his revelation; after all, he had gone further into the structure, he had risen higher. But he hadn’t come any further. The tables around him profaned the structure. He held back the desire to scream, to rage, to topple the tables.

            As he sat there, more and more people arrived and were shown to seats. He noticed mostly women were waiting in this hall. And only overweight men wore the red of the structure, staring incessantly at their glowing devices and circling the room like flies. They were busy opening and closing small drawers hidden in the ends of the workbenches, then hurrying away. They appeared not to take notice of Anton or any of the women, moving based only on their own rules. The hall was furnished like a workshop, but the machines, the tools were missing. There were only the many devices; both patient and practitioner, worshipper and priest.

            Waiting became more and more unpleasant. Anton was sweating. He looked around, no-one else appeared to be bothered. Though he thought he could recognize ill humor lurking over the edge of the women’s masks, he was unsure of its cause. They all sat there, still wrapped in their heavy cloaks, and waited patiently. The bustle in the structure must be the source of this heat, Anton thought, and wondered if it was on purpose; if everything here was meant to drive visitors out of the structure, despite the apparently pleasant and inviting furnishings. The structure was not defined by permanence, but by coming and going, and it was down to the temperature to weld those opposites together.

            One of the walls was completely covered up to the ceiling with plants. They were hung in such a way that they grew not upwards, but toward the center of room, as if gravity in the structure followed other laws. As it were, the structure was indeed governed by other laws, incomprehensible to an outsider. Little by little, however, Anton began to see a kind of order, a system behind the movements of the heavyset men, which, though no less foreign, at least seemed to have purpose. He also began to observe the men singly and to recognize their individual traits. Gradually, he could discern two groups the men belonged to. Perhaps this classification was a product of his fantasy. The more he occupied himself with it, however, the more he became convinced of its actual existence. The first group consisted of those wearing a baseball cap with a flat brim. They moved more quickly than the others and had special privileges regarding access to the drawers, which they unlocked using identity cards or small boxes on the backs of their devices. They would remove other devices and cables from the drawers and continue onward hurriedly. These cap-wearers were not allowed, however, to make any final decisions. For this, they had to consult the second group. To this other party belonged grey-haired men, whose long locks were knotted high on the backs of their heads. In a slow gait they moved through the room and awaited the consultation of the cap-wearers, they strode with the demonstrative dignity of a higher station. A few devotees of this order, freed of the cap but not yet worthy of the knot, followed these high priests and attended to them.

            Anton viewed the waiting women cursorily and wondered what ailments had brought them here. Though the appearance of the devices was characterized by unquestionable simplicity, myriad torments lurked in their depths. He asked himself if waiting had always been such an important part of maintenance; or that perhaps the primary aspect of that activity so jealously veiled by experts of their trades consisted of nothing more than drawing out simple tasks and veiling the delay in an aura of difficulty.

            A cap-wearer appeared in front of Anton and interrupted his wonderings. He confirmed the reason for Anton’s visit and secured the right to access Anton’s device with a few phrases. He spoke in a tone that sounded polite, and yet was devoid of all politeness. His speech was authoritarian, but also hesitant, awkward. He spoke quietly and rushed, his words were hardly audible through his spotless mask. He made use of meaningless phrases, connecting them only with gaping silence. While he spoke, his gaze remained fixed on his device, and the wide brim of his cap blocked his eyes. It seemed that he only ever spoke to his device, to which he whispered and that came to life under his caresses. The device reacted to each gentle touch with changing colors and quiet, pleasant tones. At the same time, he turned Anton’s device back and forth in his hands, examining it, pressing on it here and there with his thumb.

            Suddenly, he waved Anton’s device over his own with a nimble motion of the wrist. It awoke, as if via innervation. The communication between the two devices was immediate and precise. The cap-wearer stopped speaking momentarily, then said there was a problem and that he’d have to step away for a moment. With that he stood up and left, taking the devices with him. Anton followed him with his gaze. He had gone to a door that Anton hadn’t noticed before. There, he said to himself, there is the chancel screen; beyond that stone division the livers are read and the prophecies spoken, there the most secret of divining apparatuses are hidden from the eyes of the unworthy. How many more rooms are between here and the inner sanctum in this temple of the artificial? The world is no longer divided into merely three realms, there is no center to infiltrate. Even this structure is only a forecourt, an outer sanctuary where sacrifices are brought to a distant god. Who here serves whom?

            Again he had to wait. There was something worrisome about the plants that grew out into the eternal blue light of the hall. They grew. They were real. Nothing in this structure was real, not the light from the plastic ceiling, not the synthetic stone facing on the walls, nor the workbenches that merely imitated wood with their inept endgrainless veneer, nor the interactions between the people and things they had created but not understood. Amidst all this artifice hung life, lifted up and sliced out of time, forced into miraculous artificiality, cheated of the meaning of its own existence.

            The cap-wearer returned, his face long with regret. Anton asked if the intended operation would be possible. “It’s possible,” the cap-wearer said, “but not now.”

 

Translation by the Author

 

 

 



Übersetzt von dem Autor