Sarita Jenamani (Indien/Österreich) ist Schriftstellerin, Lyrikerin und Übersetzerin aus Indien. sie schreibt in ihrer Muttersprache Oriya, in der indischen Nationalsprache Hindi und in Englisch. Die engagierte Feministin publizierte einige mehrfach ausgezeichnete Gedichtbände. Sie war Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung und des Künstlerdorfs Schöppingen sowie des Kulturvereins Inzing bei Innsbruck. Für ihre Übersetzungen von Gedichten der Schriftstellerin Rose Ausländer in Hindi erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Bundeskanzleramts. Sie nahm an zahlreichen internationalen Literaturveranstaltungen und Poesiefestivals teil. Sie ist die general Sekreterin von PEN-Club Österreich.

 

Deutsch

 

 

Mit den Worten anderer:

 

 

Über Sprachverlust und Sprachwandel bei AutorInnen im Exil

 

„Mein Vaterland ist tot/sie haben es begraben/in Feuer/ich lebe/in meinem Muerterland/Wort“: Rose Ausländer
Als ich eine österreichische Holocaust-Dichterin Rose Ausländer ins Hindi übersetzte, fiel mir das obige kleine Gedicht vielleicht deshalb auf, weil ich zu dieser Zeit auch den gleichen Geisteszustand hatte – abgesehen davon, dass glücklicherweise mein Mutterland (also Vaterland für Ausländer) war gesund und munter – obwohl weit weg. Sprache ist für einen Schriftsteller fast alles, und ihr Verlust ist katastrophal, "als hätte man bei einer Explosion sieben oder acht Finger verloren und müsste nun alle täglichen Bewegungen neu lernen", hatte Vladimir Nabokov einmal treffend den Prozess des erzwungenen neue Sprache beherrschens beschrieben .
 

Im heutigen globalen Dorf, fühlt sich eine Migrantin überall zu Hause, aber leider gehört sie wirklich nirgendwo hin. Ein dauerhaftes Gefühl des Verlustes begleitet sie immer im Leben.

 

Mit der Emigration sind die Autor*nnen ihrer Heimat, ihrer Vergangenheit, ihrer Familie, ihrem kulturellen Erbe dem vertrauten Klima beraubt. Während der ersten Tage als Migrant*nnen versuchen sie, das Gefühl der Entfremdung im neuen Land zu überwinden. Dieses neue Land mag ihnen gegenüber zwar nicht feindselig eingestellt sein aber in den meisten Fällen verhält es sich ihnen gegenüber gleichgültig. In ihrer Phantasie reisen sie zwischen der alten und der neuen Heimat hin und her, erschaffen sich dann aber erstellen ihr eigenes Territorium. Niemand sagt ihnen, wie sie sich verhalten sollen, wie sie weitermachen können. Sie leben in ihrem eigenen herrlichen Schloss der Einsamkeit. Um überleben zu können und den Verlust zu kompensieren, erschaffen sie ihre eigene Welt. In so einer Situation ist ihr einziger Trost, ihre Sprache, die sie immer noch begleitet. Ihre Sprache hält sie in dieser neuen Leere, dem Ort, zu dem sie eingewandert sind.

 

Also kann man denken, dass die Beziehung zwischen den AutorInnen und ihrer Sprache in diesem Falls ehr eng sein muss, besonders wenn sie in ein Land eingewandert sind, dessen Sprache anders als ihre eigene ist. Aber in Wirklichkeit und in den meisten Fällen ist das nicht so. Die Sprache stellt einen großen Teil unserer kulturellen Identität dar, und wenn sich diese Identität bei der Einwanderung in einen anderen Kulturkreis auflöst, wird die Beziehung zur Sprache ambivalent. Dies verhält sich vor allem in Ländern wie Deutschland oder Frankreich so, wo ein hohes Maß an sozialer Interaktion und gesellschaftlicher Anerkennung ein wichtiger Bestandteil des Selbstverständnisses der Autor*nnen bildet. Sicherlich hängt es davon ab, in welchem Alter die Schriftsteller*nnen eingewandert sind und ob sie sprachliche Vorkenntnis hatten oder nicht. Wenn eine Autorin zum Beispiel als Erwachsene in ein Land mit anderer Sprache eingewandert ist, versucht sie so gut wie möglich die neue Sprache zu beherrschen, weil sie mit ihrem neuen Land kommunizieren möchte, weil sie möchte dass man ihre Stimme wahrnimmt und weil, sie ein Teil der neuen Gesellschaft sein will. Durch ihr Schreiben und durch ihre Stimme versucht sie, etwas zu bewegen. Schließlich ist ihre Stimme ihr Dasein, ihre Macht.

 

Auf der psychologischen Ebene aber ist die Situation etwas anders. Es ist ein Verlust, den man oft selbst gefordert und verursacht hat. Man hat immer die Wahl, entweder in Gefahr im eigenen Herkunftsland zu leben oder in ein anderes Land zu ziehen. Es gibt dir ein Schuldgefühl, das den Verlust der Heimat mit dem Verlust der Sprache verbindet. Und dieses Schuldgefühl verhindert den Schreibprozess.

 

Ein weiterer schmerzlicher Verlust für Schriftsteller*nnen mit migrantischem Hintergrund ist, dass sie ihre wirkliche Stimme verlieren, ihre innere Stimme, die in vielerlei Hinsicht für die Gestaltung ihres Schreibens verantwortlich ist. In einem neuen sprachlichen Milieu fehlt dieser Stimme, fehlen die Worte, um die neue Erfahrung auszudrücken, und letztlich schweigt sie.

 

Wie Eva Hoffmann in ‚Lost in Translation‘ geschrieben hat,

 

”All around me the Babel of American voices, hardy mid-western voices, sassy New York voices, quick youthful voices. Voices arching under the pressure of various cross currents…. since I lack a voice of my own, the voices of others invade me as if I were a silent ventriloquist. They rebound within me, carrying on conversations, lending me their modulation, intonation, rhythms. I do not possess them; they possess me. Some of them satisfy a need, some of them stick to my ribs…. eventually, the voices enter me; by assuming them I gradually make them mine (Hoffmann, 1989:220).

 

Abgesehen von Verlust, Veränderung und Entwurzelung ist eine gewisse Abgeschlossenheit ein wichtiges Element, die die von Migrant*nnen geschriebene Literatur bilden. Die Schriftsteller*nnen mit migrantischem Hintergrund wissen, dass ihre Literatur nie eine breitere Leserschaft erreichen wird. Die Welt, die sie hinter sich gelassen haben, versucht, sie zu vergessen, und bietet fast keine Gelegenheit, ihre Werke zu veröffentlichen, und die Welt, deren Teil sie jetzt sind verhält sich entweder gleichgültig oder hat sogar ein bestimmtes Vorurteil gegenüber ihrer Schreiben verfügt. Es gibt Mangel an Gelegenheit veröffentlicht zu werden, es gibt kaum Übersetzer, die ihre Werke übersetzen und die Literatur-Verleger*innen verlangen, dass sie in der neuen Sprache schreiben. Obwohl es allen klar ist, dass es keine leichte Aufgabe ist nach einem bestimmten Alter, eine Sprache so zu beherrschen um diese Sprache dann als das Mittel für die Schöpfung von Literatur zu verwenden.

 

Aber ein exilierte/ immigrierte SchriftstellerIn schreibt, weil sie dieses als eine Herausforderung betrachtet und beweisen möchte, dass ihr Flug der Phantasie oder das Handwerk ihrer Feder durch die Entwurzelung nicht nutzlos oder unwirksam geworden sind. Jedes Stück, das sie schreibt, ist eine Tat des Trotzes. Sie übernimmt viele Methoden, um in der Leere der Einwanderung zu überleben.

 

Sie schreibt in der neuen Sprache, obwohl sie die doppelte Menge an Blut und Schweiß für ein Stück Literatur aufbringen muss, als das vielleicht die MuttersprachlerInnen brauchen, sie begrenzt ihre Metaphern, und sie borgt sich die Worte, die sie nicht wie die Worte in ihrer Muttersprache fühlen kann Sie behält eine gewisse Distanz zu ihrer eigenen Literatur wie ein entfremdetes Paar, das aus gewissen Gründen gewaltsam zusammenlebt.

 

Es kann hier angebracht sein, Julia Kristeva zu zitieren. Für Julia Kristeva sind die Entfremdung von ihrer eigenen Sprache und die Entwurzelung, die die Folge der Auswanderung sind, die Bedingungen der neuen Identität. Durch Ablehnung kann man seine Position in der Welt vollständig verstehen und seine eigenen Vorstellungen überdenken. Nach Kristeva,

 

“The stranger suffers because she cannot speak her maternal language” (Oliver 1993,7). Through efforts to acquire a new language, when the mother tongue becomes redundant, the subject is “liberated” from the discourse that “made” her/his identity.

 

Durch die Entfremdung von ihrer eigenen Sprache und durch die körperliche Entwurzelung (Verschiebung) erhält die eingewanderte AutorInnen einen neuen Anstoß für den Blick auf die literarische Tradition und den Gebrauch der Sprache(zu betrachten) sowohl im alten wie im neuen Land.

 

Jede Sprache sieht die Welt anders und die Sprache bestimmt das Denken. Die Auseinandersetzung mit mehreren Sprachen aus sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gibt den exilierten SchriftstellerInnen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen oder Gedanken aus einem anderen Blickwinkel zu interpretieren oder zu beschreiben oder es kann einen neuen Ansatz für die Behandlung zu einem bestimmten Thema bieten. Manchmal bietet eine neue Sprache eine Befreiung von alten psychischen Assoziationen und manchmal hilft es, eine neue Beziehung zu Ihrer eigenen Sprache aufzubauen.

 

Aber, die wichtigste damit verbundene Frage ist: Wie die exilierten AutorInnen eine Chance bekommen können, damit ihre Stimme nicht verloren geht. Wie Plattformen vorhanden sein können, wo sie ihre Schreiben darstellen und sich als SchriftstellerInnen präsentieren können. Jeder Denkprozess und jede Stimme bereichert die Menschheit. Deshalb sollte jede Stimme, ob die sich im Herkunftsland oder im Einwanderungsland erhebt, eine Chance bekommen, gehört und beachtet zu werden.

 

 

 Übersetzt aus dem Englischen von der Autorin

 

 

 

Writing in Exile: In the words of others

 

 

 

 

“My fatherland is dead/they have buried it/in fire/I live/in my motherland/word”: Rose Ausländer

 

While translating an Austrian Holocaust poet Rose Ausländer into Hindi, the above small poem struck me, maybe, for the reason that at that time I too was going through the same state of mind – barring the fact that, fortunately, my motherland (that is fatherland for Ausländer) was well and alive – though far away.

 

Language for a writer is almost everything and its loss is disastrous, "as if one had lost seven or eight fingers in an explosion and would now have to relearn all the daily moves", once Vladimir Nabokov had tellingly described the process of forced change of language.

 

It is almost two decades ago that I immigrated to Austria, a country whose language was alien to me and it came as a tremendous cultural shock. I witnessed how within no time one is turned from a most eloquent person to a dumb dude. In today's global village, a migrant feels at home everywhere, but unfortunately she really doesn't belong anywhere. A permanent feeling of loss always accompanies them in life.

 

It was as if your share the destiny of writers who had to flee from their countries during Nazi invasion: sometimes they succeeded to cope with the trauma as in the case of Elias Canetti, but there were also instances when some of them failed to do so and ended their life; Klaus Mann, for example, or remained undiscovered for a long time like Rose Ausländer.

 

The power of literature lies is words. They express and preserve the soul of the literary text. How does a writer work in exile? How does an author living in exile write? In which way one fulfills one’s role as a descriptive witness? These questions affect many writers because many find themselves outside of their native lands. A lot of them are persecuted, tortured or even murdered. Worldwide, many authors are subjected to state repression for their political opinions or civic commitment. A good number of them have to live as refugees in the countries whose languages they do not understand.

 

India, as we all know, itself is a universe of language and when even as Indian we move and reside in another state whose language and script is different from ours, we experience a sort of jerk, if not shock, but thanks to English, arguably the pan-Indian lingua franca, we manage to overcome this unsettling situation. But, what where English is of no help?

 

Let’s reformulate the question! What is different between living in within the boundaries of a national state, that is, in your homeland and living in exile?

 

In his book, culture and imperialism, Edward Said maintain: “Nationalism is ostentation of belonging in and to a place, people, a culture, and customs. Just beyond the frontier between us and the outsiders is the perilous territory of not belonging. This is where in a primitive time people were banished and wherein modern era immense aggregates of humanity loiter as refugees and displaced person. Nationalism or living in national territory is about a group and living in exile /immigration is an experience of living in solitude outside a group.”

 

In other words, a somewhat permanent sense of loss accompanies the immigrants all through their life. At the same time, one can say that an immigrant, in today’s global village, feels everywhere at home but, belongs, unfortunately, to nowhere.

 

With immigration, you not only lose your familiar habitat but also you lose your past, your land, your family, your heritage, your familiar environment etc. In the initial days of immigration, you try to overcome this sorrow of estrangement in the new land which may not hostile but is usually indifferent. In such circumstance, the only solace remains the language that still accompanies you. It can hold you in this void, in the place, where you have immigrated. Understandably, the relationship of a writer to his language must be very intimate and even of more sensitive nature when he has immigrated to a land an alien language. But, mostly this is not so!

 

Language constitutes a major part of our cultural identity and with immigration, this identity gets dissipated and the relationship with the language becomes somewhat ambivalent. During the initial years of your immigration, you do not or you cannot figure out which has the greater impact on you, the pain of losing your native language, your mother tongue or the pleasure of acquiring a new language. Lifelong you are engaged in a perpetual process of self-translation which constitutes losses and gains simultaneously and only the writer who gets affected by this process can gauge on which side she stands; suffering from a pain or enjoyment of gain.

 

Another unsettling loss for the writers in immigration is that they lose the voice that talks to them; their inner voices, that are, in many ways, responsible for molding and shaping their ‘structure of feelings’. In search of words in the new habitat, this voice suffers and ultimately falls silent.

 

In order to write in the new language it takes double amount of blood and sweat and in that exercise, an immigrant writer, unlike his colleagues back in the homeland, delimits his metaphors and words in that he cannot feel the newly-acquired words as pure and ‘substantial’ as his mother tongue. In this way, he tends to maintain a certain distance from his own literature like an estranged couple who forcefully live together for certain reason.

 

Then one wonders for how an immigrant writer braves this adverse situation and produces a kind of literature which is unique in many ways.

 

For Julia Kristeva, alienation and exclusion are the consequence of emigration, as well as the conditions of immigrant’s new identity. Through rejection, one can fully understand one’s position in the world and rethink one’s beliefs. Exile shows that identity is not a stable and one of the factors that induce its change is the language. Kristeva believes that when mother tongue becomes redundant, the subject is “liberated” from the discourse that constitutes his identity.

 

Every language perceives the world differently and different language determines the process of thinking differently. Through exposure to multiple languages from different cultural background, one gets an opportunity to interpret or describe one’s experience or a thought from another point of view. It can also provide a somewhat new approach to the treatment the usual topics. An immigrant writer goes through different experiences and this is one reason that he experiments with his own language and the literary tradition differently. Sometimes a new language offers a refuge from the old psychic associations and it helps to establish a new connection with his native language and literature. In other words, through a physical displacement from his language milieu an immigrant writers get a fresh impulse, a different position to look at the things and resultantly to portray from another, new perspective – a process that gives, in turn, a new twist to the literary scene both in the old and in the new country, an idea that I have tried to capture in one of the poems: All through life/an unending journey/accompanies you/And in the absence of/a destination/much of what’s inside gets lost/And the warp and weft of being/keeps on breaking.