Elisabeth Frischauf (Österreich/USA) wuchs in der Upper West Side von Manhattan, New York auf. Elisabeth Frischaufs Mutter, die Psychoanalytikerin Else Frishauf (geb. Pappenheim, 1911 – 2009) floh 1938 vor den Nazis aus Wien über das Mandatsgebiet Palästina in die USA. Den ebenfalls aus Wien emigrierten Stephan H. Frischauf (Stephen H. Frishauf,1920 – 2011) kannte sie von Kindheit an. Im Exil in den USA begegneten sich Elisabeth Frischaufs Eltern wieder und heirateten 1946. Elisabeth Frischauf, ausgebildete Fachärztin für Psychiatrie in New York, ist seit über 40 Jahren künstlerisch aktiv und seit über einem Jahrzehnt ausschließlich als Künstlerin tätig. Sie arbeitet mit unterschiedlichen Materialien und in diversen Medien, schafft Keramiken, Aquarelle, Collagen, Mobiles und Installationen. Eng mit ihren Kunstwerken verbunden ist das Schreiben von Gedichten.

 

2022 erschien Elisabeth Frischaufs zweisprachige Gedichtband„They Clasp My Hand. Die meine Hand ergreifen.“, aus dem amerikanischen Englisch von Ernst Karner, im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft.

 

 

Deutsch

 

 

MORGEN VIELLEICHT

 

Morgen vielleicht werde ich in einem mandarinfarbenen See im Abendrot schwimmen.

 

Ich werde nicht an den Artikel der New York Times denken, dass wir dem Atomkrieg näher sind denn je—oder,

 

einem „herkömmlichen“ Dritten Weltkrieg. Die aufflammende Glut in der Ukraine, der Mittlere Osten im Vollbrand.

 

Ich frage: waren, werden, sind?

 

 

 

Simone Weil verstand unbarmherzige Gewalt, als sie die Ilias studierte:

 

Mensch zu sein bedeutet, Gewalt auszuüben, Gewalt ausgesetzt zu sein.

 

Gewalttätigkeit, die uns zu Dingen macht.

 

uns abstumpft, tot und abgestorben leben lässt.

 

 

Morgen vielleicht werde ich gedankenlos schwimmen.

 

Einfach schwimmen; das Wasser zwischen Armen und Beinen hören

 

Licht unter der Oberfläche glitzern sehen, wenn der Kopf untertaucht

 

 

Sie analysiert, unnachgiebig in ihrem Streben,

 

Gewalt zu ergründen. Abwartende Gewalt, die nicht tötet, aber belauert.

 

Droht—vielleicht—unser Ufer zu erreichen?

 

 

Morgen vielleicht wird mein Geist zur Ruhe kommen

 

und sich weigern, das verrückte Flussrauschen zu filtern

 

was hier und dort und überall geschieht.

 

Und alles zugleich.

 

 

Auf den Nebenlinien werde ich zu einer Unheil scrollenden Geisel der Nachrichten, —

 

Mitteilungssucher/sender: Bist du ok? Dieser Gedankenbereich ist belegt.

 

Selbst wenn du die Tür schließt, nicht zuhörst, vielleicht bist du

 

mit Verwandten und Freunden in der direkten Schusslinie;

 

und immer die Frauen und Kinder.    Im Weg.    Auf jeder Seite.

 

 

Morgen vielleicht werde ich ein Vogel sein. Ein Bussard, der

auf dem milden Aufwind des Morgens schwebt, Kreise dreht

über dem silbernen sonnengestreiften See,

oder eine kranke Krähe, die ein schimmelndes Kuchenstück

voll Genuss verspeist. Knusprige take-away-Nudeln, wie fad.

 

Menschen dingen.  Denken: Die,—

 

die noch leben,—Terrorist, Wilder, Pfand,

 

menschliches Schild, Kollateralschaden: Ich Gut. Die Böse.

 

Morgen vielleicht wird meine halbe gläserne Duschwand

eingebaut werden, nachdem ich fast zwei Jahre darauf wartete;

die kühle Belebung des Sees dampfend luxuriös warm,

der gefilterte und auf die Lebensbaum-Badematte überschwappende Tag.

 

Haben wir Angst vor Frieden—

 

vor seiner sturmgesäumten Klarheit?

 

 

Ist uns der Nebel des Krieges lieber, frage ich—

 

aus Angst vor dem Guten, seiner kompromisslosen

 

Aufrechterhaltung; seiner Nahrung—

 

der sturen, langweiligen Stille?

 

 

 

Morgen vielleicht wird einfach morgen sein, und der nächste Tag und der nächste

 

ein magischer Tag, wenn das Licht das Dunkel flutet,

 

wenn wir uns vom Weinen losringen, ergießen wir uns gemeinsam über den großen Bogen—

 

 

 

Von Träne zu Träne            Lächeln zu Lächeln         Seele zu Seele             Sind wir Eins

 

 

 

 

 

So möge es sein.

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzt von Astrid Nischkauer

 

English

 

 

MAYBE TOMORROW

 

Maybe tomorrow I will swim in a sunset tangerine lake.

 

I won’t think about the New York Times report that we are closer to nuclear war than ever—or,

 

a “conventional” World War III.  The fanned embers of Ukraine, the Middle East in full flame.

 

 

I ask: have been, will be, are?

 

 

                        Simone Weil understood pitiless force as she studied the Iliad:

 

                        just being human entails forcing, being forced.

 

                        Violence that will make us things.

 

                        numbs us into living dead and deceased.

 

 

Maybe tomorrow I will swim not-thoughts.

 

Just swim; hear water between arms and legs

 

see light filtering under the surface as head enters

          

 

                        She analyzes, relentless in her quest to fathom

 

                        Force.  Force expectant that doesn’t kill, but stalks. 

 

                        Lurks—maybe— reach our shore?

 

 

Maybe tomorrow my mind will rest

 

and refuse to filter the mad river rush of

 

what’s going on here and there and everywhere.

 

And all at once.

 

 

            On the side lines, I become a doom-scroll news hostage, —

 

            message seeker/sender: Are you OK?  That room of mind occupied.

 

            Even if you shut the door, refuse to listen, maybe you

 

            with relatives and friends in the direct line of fire;

 

                        and always the women and children.  In the way.  Whichever side.

 

 

Maybe tomorrow I’ll be a bird. A buzzard floating

 

on morning’s mellow updraft, swooping circles

 

above the silver sun-swept lake,

 

or a crippled crow who eats a moldy scone

 

with great delight.  Crisp takeout noodles, a bore.

 

 

            Humans thinging.  Thinking: Them—

 

            while still alive—terrorist, savage, pawn,

 

            human shield, collateral damage: Me Good. They Bad.

 

 

 

Maybe tomorrow my glass shower door half

 

will be installed after waiting almost two years;

 

lake’s cool invigoration steamed luxurious warm,

 

the day filtered and spilled on the tree of life bathmat.

 

 

            Are we afraid of peace—

 

            its stormy edged clarity?

 

 

            Do we prefer the fog of war, I ask—

 

            afraid of the good, its hard-line

 

            maintenance; its sustenance—

 

            the stubborn, boring silence?

 

 

Maybe tomorrow will just be tomorrow, and the next day and the next

 

a miracle day when light floods dark,

 

when wrung from weeping, we cascade together along the long arc—

 

 

From cry to cry             Smile to smile                          Soul to soul                  We are One

 

 

 

May it be.