Hamed Abboud (Syrien/Österreich) Geboren 1987 in Deir Ez-Zor, Syrien. Ende 2012 Flucht aus Syrien, nach Zwischenstationen in Ägypten, Dubai und der Türkei kam er Ende 2014 in Österreich an. Öffentliche Leseveranstaltungen seit 2005 in Syrien und Ägypten, seit Ende 2015 in der Schweiz, in Deutschland und Österreich. Regelmäßige Veröffentlichungen von Texten in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften seit 2005 in Syrien und im Mittleren Osten. 2012 Veröffentlichung des ersten Gedichtbands “Der Regen der ersten Wolke” im Verlag Arwad Publishers International Inc. 2015 Nominierung für und Verleihung des Jean-Jacques-Rousseau-Stipendiums der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart in Deutschland. 2017 Veröffentlichung des zweiten Werks “Der Tod backt einen Geburtstagskuchen” in arabischer und deutscher Sprache im schweizer Verlag pudelundpinscher. Nominiert für den renommierten "Internationalen Literaturpreis", der vom Berliner "Haus der Kulturen der Welt" vergeben ist. Die Texte sind Arabisch in der Originalsprache und wurden von Larissa Bender aus Köln auf Deutsch übersetzt.

 

 

 

Die Fragmente meiner Sehnsucht

 

 

 

Es ist eine Katastrophe.
Ich liebkose meinen Bildschirm,jedes Mal, wenn du nach dem Video-Anruf auflegst.

 

Wenn wir reden denke ich, vielleicht sollte ich meine Brille tragen.

Dann bemerke ich, dass es zwischen uns mehrere Schichten Glas gibt.

Ich ziehe sie aus und versuche meinen Bildschirm zu schälen.

 

Jedes Mal betrachte ich mich danach im Spiegel.

Ich denke, jetzt gibt es zwei von mir.

Vorne der Spiegel,

meine Sehnsucht nach dir ist gedoppelt.

 

Ich mache mich damit vertraut,

in der Zeit der Quarantäne sollte ich Spiegel meiden.

Sie zeigen mir nicht nur, was gerade auf meinem Gesicht steht

sie zeigen mir auch, was meinem Gesicht fehlt.

 

Es ist eine Katastrophe,

nicht, weil ich mir manchmal Sorgen mache,

um Sachen zu kaufen.

Nicht weil ich manchmal einsam bin.

Es ist so,

weil es dich hinter der Wand meines Zimmers nicht gibt.
und wenn ich klopfe, klopfst du nicht zurück.

 

 

 

 

 

 

Die neue Kirche

 

 

Aus früheren Erfahrungen wusste ich schon, dass jeder einen Tempel hat, da ich mir immer habe sagen lassen, dass ein Mensch etwas zum Glauben braucht.

 

Nur keine Sorge, ich schließe die Atheisten nicht aus, weil für mich “an nichts zu glauben” doch ein Glaube ist. Es gelang mir nicht leicht, eine solche Überzeugung zu erlangen, es erforderte viele Begegnungen und Beobachtungen, damit mir am Ende die Varianten des Glaubens greifbar wurden.

 

Einer Erkenntnis konnte ich mir danach sicher sein, nämlich dass das, was wir in uns verhüllt behalten und was wir anderen preisgeben, sich selten gleicht. Dies gehört zur menschlichen Fassade, die einen großen Teil unseres Charakters bildet und bezeichnet. In besonderen Momenten kannst du unter den menschlichen Fassaden die Sehnsucht nach höherer Macht entdecken, die unsere Seelen retten, und uns nackt mit all unserer Falschheit akzeptieren würde, wie eine Mutter ihren Schlingel umarmt.

 

Vielleicht ist dir auch klar, dass nichts intakt bleibt. So begegnete ich im Laufe der Jahre unterschiedlichen Ersatztempeln, die anstelle des ursprünglichen ihren festen Platz im Leben der Einzelnen einnehmen würden.

 

Es gibt diese Zeiten, in denen du die Fassaden, die gesellschaftlichen Lügen und sogar die ordentliche Kleidung hasst, obwohl sie dir helfen den Tag zu überleben. Deshalb wendest du dich an deinen Tempel, mit der Hoffnung dich zu befreien und alles hinter dir zu lassen. Aber dieser erlaubt dir nicht nackt aufzutreten und überfordert dich mit vielen Regeln und alten Geschichten, die du dir unmöglich alle merken kannst.

 

Deshalb rennst du zu dem neuen Platz, wo dich niemand beurteilen kann und man dich in der Ruhe des dunklen Lichts lässt.

 

Sie nennen ihn Sauna, aber du nennst ihn deine Erlösung, du befreist dich von allen Zwängen und begrüßt jeden Atemzug mit offener Lunge und wartest.

 

Niemand schaut dich an, und du wartest. Inzwischen sitzt vielleicht dein Synonym neben dir, ohne dass du die große Ähnlichkeit zwischen euch bemerkst, die ihr beide innen und außen gemeinsam habt. Aber ihr alle wartet, bis die höhere Macht um eine bestimmte Uhrzeit hereinkommt. Sie alleine würde alle in dem dunklen Raum anschauen. Sie allein darf stehen bleiben und ihre dampfigen Rituale durchführen.

 

Die Priesterin der Sauna spricht nicht mit Worten, sondern mit heißen Wogen durch die Schwingungen ihres Tuchs. Sie legt kein heiliges Wasser auf dein Gesicht und flüstert keine heiligen Worte in dein Ohr, sondern gießt kaltes Wasser auf brennende Steine und verteilt zarte Cremen, damit der Stress und die Sünden von dir gleiten können.

 

Wie eine Gruppe nackter Kinder sitzen alle und sehnen sich nach einem Blick, einer heißen, luftigen Welle, die Vergebung ankündigt.

 

Jeder sucht sein persönliches Paradies, das vielleicht am Ende trotz der unterschiedlichen Tempel dasselbe für alle sein könnte, aber ob sie in dieses Paradies gelangen, ist ungewiss und viele mögen nicht darauf hoffen und keine hohen Erwartungen hegen.

 

Die einzige Gewissheit erhält man in diesem kleinen, dunklen Raum, den manche Sauna nennen mögen, und manche, mich eingeschlossen, lieber ihren neuen Tempel nennen, dessen Priesterin um eine bestimmte Uhrzeit hereinkommt und mit ihren Ritualen alle Sünden und Lebenssorgen schmilzt.