Mag. Brigitte Rapp, Geschäftsführerin der IG Übersetzerinnen und Übersetzer, als Kroatin aufgewachsen im Burgenland. Studium am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung der Universität Wien (Englisch, Russisch); freiberufliche Übersetzerin (Sachbücher, v.a. Psychoanalyse, Pädagogik, Biografien; Jugendliteratur); Übersetzerin für die deutsche Ausgabe der Prawda, Mitarbeiterin und seit 1992 Geschäftsführerin der Übersetzergemeinschaft.

 

Die Sprache ist etwas sehr Persönliches, das uns mit unserer Herkunft, unserem Ursprung verbindet. Die ersten Worte, die wir lernen, hören wir von unseren Eltern, von unserer unmittelbaren Umgebung. Sie sind verbunden mit dem Lächeln der Mutter, der schützenden Hand des Vaters, dem Duft der Großmutter… Das alles ist uns später nicht mehr bewusst, wirkt aber ein Leben lang weiter. Die „erste“ Sprache ist emotional enorm stark besetzt und ein integraler Bestandteil der Persönlichkeit. Das mag für einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin noch sehr viel intensiver sein,  seine bzw. ihre Sprache ist das Material, das er oder sie auf ganz eigene Weise form.

 

Wie würden Sie als Übersetzerin die Beziehung einer Schriftstellerin/eines Schriftstellers zu ihrer/seiner Spracheverstehen? Sind Sie der Ansicht, dass Autor/inn/en im Exil in der Sprache des aufnehmenden Landes schreiben sollten, um sich im dortigen Literaturmarkt zu etablieren? Ist dieser Sprachwechsel schwierig oder überhaupt möglich?

 

Die Sprache ist etwas sehr Persönliches, das uns mit unserer Herkunft, unserem Ursprung verbindet. Die ersten Worte, die wir lernen, hören wir von unseren Eltern, von unserer unmittelbaren Umgebung. Sie sind verbunden mit dem Lächeln der Mutter, der schützenden Hand des Vaters, dem Duft der Großmutter… Das alles ist uns später nicht mehr bewusst, wirkt aber ein Leben lang weiter. Die „erste“ Sprache ist emotional enorm stark besetzt und ein integraler Bestandteil der Persönlichkeit. Das mag für einen Schriftsteller oder eine Schriftstellerin noch sehr viel intensiver sein,  seine bzw. ihre Sprache ist das Material, das er oder sie auf ganz eigene Weise formt.

Die eine Sprache für eine andere aufzugeben, ist sicher schwierig und für viele wahrscheinlich undenkbar, auch wenn sie bereits lange in einem neuen Land leben. In jedem Fall ist es eine sehr persönliche Entscheidung, und ich glaube, dass der Zugang zum Literaturmarkt dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Schließlich gibt es dazu auch die Möglichkeit der Übersetzung.

Jeder sollte in der Sprache schreiben, in der er oder sie sich am besten ausdrücken kann. Das ist im Grunde auch ein Menschenrecht. Der Zugang zum Literaturmarkt ist dadurch erschwert, denn die Übersetzung ist immer auch ein Kostenfaktor, abgesehen davon, dass es für „fernere“ Sprachen auch schwierig sein kann, geeignete Übersetzer zu finden. Was wir dadurch an Einblick in andere Denkwelten profitieren, sollte die Kosten bei weitem aufwiegen.

 

Sie leiten die IG Übersetzerinnen Übersetzer und damit eine literarische Organisation in Österreich. Was sind Ihre Beobachtungen bezüglich des Beibehaltens der Muttersprache und/oder des Wechsels zur Sprache des Gastlandes?

 

Es gibt in Österreich einige Autoren, die in anderen Ländern geboren wurden oder eine gemischte Herkunft haben und mit großem Erfolg auf Deutsch schreiben. Julya Rabinowich, Anna Kim oder Vladimir Vertlib und Radek Knapp, um nur einige zu nennen, sind etablierte österreichische Autor/inn/en. Sie sind als Kinder oder Jugendliche nach Österreich gekommen und wurden im Deutschen sozialisiert, vermutlich ist es für sie natürlich, in dieser Sprache zu schreiben, weil es die Sprache der sie umgebenden Realität ist. Genau genommen haben sie keinen Sprachwechsel durchgeführt, sondern sich für eine der ihnen zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten entschieden.

 

Anders ist die Situation für Autor/inn/en, die mitten im Leben aus ihrem Kontext gerissen werden und sich plötzlich in einer ganz anderen Umgebung wiederfinden, in der sie sich zuerst einmal zurechtfinden müssen, deren Sprache sie erst erlernen müssen. Das ist ein schwieriger Aneignungsprozess, der viele Jahre in Anspruch nehmen kann, schließlich muss auch die erzwungene Entwurzelung irgendwie verarbeitet werden. Das Schreiben in der eigenen Sprache ist vielleicht für lange Zeit der einzige Bereich, der Sicherheit bietet, und vielleicht ist es ein Zeichen des Angekommenseins, wenn Schreibversuche in der neuen Sprache unternommen werden. Oft sind diese eher experimentell, ein Spielen mit beiden Sprachen, selten kommt es zu einem völligen Wechsel der Sprachen. Ein Beispiel wäre Hamid Sadr, der Ende der 1960er Jahre als Student nach Wien kam und seit den 1990er Jahren in deutscher Sprache veröffentlicht – um nur eines zu nennen. Das Alter spielt hier sicher auch eine Rolle – je später man emigriert, desto schwieriger wird es, mit einer neuen Sprache so vertraut zu werden, dass man sich literarisch darin ausdrücken kann.

 

 Wie wichtig ist die Integration einer/s Schriftsteller/in/s in den literarischen Markt des Gastlandes? Wäre dies auch bei Fortsetzung des Schreibens in den jeweiligen Sprachen des Herkunftslandes möglich? was für eine Rolle spielt Übersetzung dabei?

 

Neue Stimmen zu hören, kann nur eine Bereicherung sein, und insofern tut es jedem Buchmarkt gut, wenn er Schriftsteller/innen aufnimmt, die von anderswo kommen. Etwa ein Viertel der  Belletristik-Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Buchmarkt sind Übersetzungen, es gibt eine lange Tradition und hohe Qualität der Übersetzung. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf Literatur aus dem angloamerikanischen Sprachraum, andere, vor allem geographisch fernere Sprachen sind deutlich weniger repräsentiert, weshalb es auch an qualifizierten Übersetzer/innen mangelt. Manchmal muss daher auf eine Relais-Sprache zurückgegriffen werden. Solche Übersetzungen entstehen oft in enger Zusammenarbeit zwischen Autor und Übersetzerin,  die über eine gemeinsame Sprache oder mit Unterstützung durch Dolmetscher/innen miteinander kommunizieren. Das macht den Übersetzungsvorgang natürlich noch aufwändiger und komplizierter, aber möglich ist es. Ich denke dabei an die Doppel-Anthologie „Splitter des Himmels/Im Niemandsland“ von Sarita Jenamani/Aftab Husain, in der sich die Autoren zunächst selbst ins Englische übersetzt und diese Texte gemeinsam mit einem Englisch-Übersetzer überarbeitet haben. Auf der Basis dieser Übersetzung entstand dann die deutsche Fassung, ebenfalls in enger Rückkoppelung mit den Autoren und dem englischen Übersetzer. Auch der deutsche PEN gibt Texte der von ihm betreuten Zufluchtsstädte-Autor/innen in deutscher Sprache heraus, die z. T. auf diese Weise zustandekommen und ohne Übersetzung einfach nicht zugänglich wären. Mit so einer Veröffentlichung ist natürlich noch keine Integration auf dem literarischen Markt des neuen Landes geschafft, aber immerhin eine erste Präsenz, auf der sich aufbauen lässt.

 

Welche Bemühungen sind für die Integration der exilierten Schriftsteller/innen in Österreich – auf staatlicher oder nichtstaatlicher Ebene – getätigt worden? Sind Sie zufrieden mit der Intensität dieser Bemühungen – und wie könnte man diesen Prozess noch verbessern?

Zufrieden kann man nie sein, auch wenn es einige gute Ansätze gibt. Da ist zunächst das Projekt „Wien als Zufluchtsstadt“ zu nennen, das verfolgten Autor/innen für eine Zeit lang eine Wohnung und ein Stipendium zur Verfügung stellt und das Ankommen in Österreich und auch auf dem österreichischen Buchmarkt erleichtert. Ich halte das für ein sehr wichtiges Projekt, weil es den Autor/innen ermöglicht, gerade in der schwierigen Anfangszeit ohne materielle Sorgen auch ihr Schreiben weiterverfolgen zu können, und damit dazu beiträgt, dass diese Stimmen nicht verstummen. Dieses Projekt wird von der IG Autorinnen Autoren und der IG Übersetzerinnen Übersetzer gemeinsam durchgeführt, finanziert wird es von der Stadt Wien und dem Bund, es ist also eine staatlich/nicht-staatliche Kooperation im besten Sinn. Leider ist dieses Projekt jeweils auf eine Person bzw. Familie beschränkt, und gerade jetzt nehmen wir einen höheren Bedarf an solchen Zufluchtsmöglichkeiten wahr, als wir anbieten können.

Große Bedeutung haben auch die Aktivitäten des Vereins Exil, der durch seine Schreibwerkstätten und das Ausschreiben von Literaturpreisen für Autor/innen aus anderen Ländern unter dem Motto „Schreiben zwischen den Kulturen“ die Tür zum hiesigen Buchmarkt öffnet, ohne sie jedoch vereinnahmen zu wollen. Hier finden sie kompetente Ansprechpartner/innen, die sie nicht als Einwanderer, sondern als Schriftsteller/innen wahrnehmen, ihnen Feedback zu ihren Texten geben und ihnen zu einer gewissen öffentlichen Wahrnehmung verhelfen. Das sind wichtige erste Schritte auf dem Weg in die österreichische Literaturszene, und einige der oben genannten Autor/innen sind auf diese Weise „entdeckt“ worden. Allerdings beschränken sich die Preise auf in deutscher Sprache verfasste Texte, was viele ausschließt, die sich eben nicht für das Schreiben in der „neuen“ Sprache entscheiden wollen oder können. Hier würde es neue Initiativen brauchen und vor allem einen Fonds, aus dem sich Übersetzungen und begleitende Maßnahmen der Bekanntmachung finanzieren ließen, damit die ganze Vielfalt der „zugewanderten“ Literatur sichtbar werden kann. Das könnte auch österreichische Verlage motivieren, sich mehr für diese Literaturen zu interessieren.

Stimmt es dass bei Achtung und Aufnahme fremder Literaturen, die literarischen Organisationen und  Zeitschriften in Österreich  sich mehr und mehr euro-zentristisch orientieren. Ist das wahr? Und wenn es so ist – wie könnte man sie überzeugen ihren Horizont zu erweitern und auch die ungehörten Stimmen der sich entwickelnden Regionen dieser Welt einzubeziehen?

Um das seriös zu beantworten, müsste man sich eingehend mit der Situation beschäftigen. Überzeugen kann man sie nur, indem man sie damit bekannt macht. Da kommt den ankommenden Schriftsteller/innen eine Rolle zu, die sie selbst wahrnehmen müssen: Kontakte mit hiesigen Autor/innen knüpfen, sich in der heimischen Literaturszene zeigen und einmischen, sich und ihre Literatur präsentieren,  über ihr Herkunftsland und ihre Geschichte sprechen… Das ist nicht leicht, und die hiesigen Kolleg/innen könnten helfen, indem sie als Mentor/innen auftreten. Projekte wie Worte&Welten sind auch ein Weg zur Selbstermächtigung und ein Forum, das Sichtbarkeit bietet. Ich kann euch nur dazu gratulieren und euch viel Erfolg und hoffentlich auch irgendwann ein bisschen finanzielle Unterstützung dabei wünschen.

Dieses Interview wurde von Dr. Aftab Husain geführt.