Claudia Inés Solís Haje (Mexico/Österreich) Geboren 1963 in Mexiko, lebt seit 1989 in Linz. Studium der Literaturwissenschaften an der UNAM. Sprachtrainerin und Autorin von Kurzgeschichten und Gedichten. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. Auf den Spuren der Fledermaus (2023) und Kardinalpunkte der Seele (2020).
Deutsch
Mamá Mecha
Nein, wir sind nicht gestorben, noch leben wir.
Sie haben ihn mitgenommen.
Was sagst du?
Genau das, dass sie ihn mitgenommen haben.
Was hat er denn getan? Warum ihn?
Du weißt schon.
Berta, Berta, sie haben meine Mann umgebracht!
Um Gottes Willen, was sagst du da?
Ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht an den Protestmärschen beteiligen soll, dass Protestieren sinnlos ist, weil sich dadurch nichts ändert, dass es nichts Gutes bringt. Aber er hat immer wieder gesagt, wir müssen für unsere Kinder kämpfen, damit sie ein besseres Leben haben. Und jetzt? Jetzt stehen wir ohne ihn da und sind noch ärmer dran.
Marcelo war sehr lustig, sein Humor war ansteckend. Jeden Morgen sang er ein Lied, das ins Ohr ging, immer ein anderes. Mit dem Lied begann der neue Tag, und es war diese Melodie, die sich in unsere Köpfe einbrannte, und die Kinder gingen singend aus dem Haus. Doch nach und nach wurden die Lieder radikaler, die seichten Texte wurden von solchen des Protests abgelöst. Die Kinder hatten Freude daran, zu wiederholen, was ihr Vater sang. Ich sagte ihm, dass er den Kindern nicht so etwas lernen sollte, aber er hat nie auf mich gehört und jetzt haben wir die Folgen zu tragen.
Am 29. Juli, als er am Hauptplatz des Dorfes, in dem er geboren war, mit einem Bekannten unterwegs war, verschwand Marcelo. Vier Männer nahmen ihn und seinen Begleiter mit. Sofort begann die Familie ihn zu suchen, sie fragten in der Umgebung um Hilfe, bei den Nachbarn, den Freunden und schließlich bei den Behörden. Niemand wusste etwas von ihm.
Es geschehen schreckliche Dinge, sagte Mamá Mecha und unterdrückte ihre Tränen. Früher war es nicht so. Früher haben wir uns auf die Arbeit mit den Pflanzen und Tieren konzentriert. Früher haben wir gut gelebt, ohne dass sich jemand eingemischt hat. Wozu das alles? Warum?
Auch die Vision einer Zukunft ging verloren. Die Vorstellungen, die über lange Zeit den Rhythmus des Lebens bestimmt hatten, wurden gelöscht. Von einem Moment auf den anderen verwandelten sich die Träume in Angst, in Hass. Die Kinder sangen nicht mehr, sie wurden mürrisch, nichts machte ihnen Freude.
Wo ist Papa? immer wieder wiederholten sie dieselbe Frage.
Nein, ich kann nicht. Ich werde ihnen keine Lüge erzählen, ich werde in ihnen nicht die falsche Hoffnung wecken, dass ihr Vater eines Tages wiederkehren könnte.
Wenn ich weg bin, hat Marcelo gesagt, musst du weitermachen. Du musst auf alles vorbereitet sein. Du musst die Kinder durchbringen.
Sag so etwas nicht, habe ich ihm geantwortet.
Wir beide wussten, dass viele Männer verschwunden waren. Wir würden sie nie mehr wieder zu Gesicht bekommen, weder tot, noch lebendig. Sie haben uns nicht einmal ihre Körper überlassen, damit wir sie hätten bestatten können. Nichts. Von einem Moment auf den anderen haben sie sie verschwinden lassen.
Das Land erschien dunkel und trist. Alle wollten wir in Frieden leben. Aber was sage ich da, wenn dieser Frieden uns doch vor einigen Monaten geraubt wurde. Und wenn wir auch selbst die Sonne sehen, werden viele von uns niemals mehr einen neuen Sonnenaufgang erleben.
***
Woher sind die?
Keine Ahnung.
Aber du wirst doch wissen, wer sie sind, ist es nicht so?
Nein, ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich genau an die Nächte, die wir stumm und im Gehen verbrachten. Wir gingen mit schweren Lidern, die uns vor Müdigkeit zufielen. Wir gingen wie benommen. Wir wollten ihnen sagen, dass wir keine feindseligen Menschen sind. Dass wir gute Leute sind. Dass sie uns nicht umbringen sollen. Dass sie uns in Frieden leben lassen sollen. Was wir suchten, war Friede für alle, denn der Friede ist größer als der Tod, der die Menschen bedroht, größer als das Leben. Weil wir unser Land verteidigen wollten, damit sie es nicht in Besitz nehmen konnten, deshalb haben wir jetzt Feinde, von deren Existenz wir nicht einmal gewusst hatten. Feinde, die wir nie zuvor gesehen hatten - weder sie selbst, noch ihre Familien oder ihre Freunde. Sie kamen wie Schatten, die in der Nacht mit ihren Waffen hinausgehen und sich bei Tage verstecken. Sie kamen in unser Land mit der verdammten Überzeugung, dass sie uns ihrem Willen und ihrer Macht unterwerfen müssten. Alles, was sich fortan zeigen würde, würde in den Qualen des Todes enden.
Wir wollen euch nicht sehen - das ließen sie uns über ihre Botschafter wissen - und wenn wir euch sehen, bringen wir euch um. Marcelo haben sie mitgenommen wie viele andere, sie haben ihn misshandelt und am Ende getötet.
Auch das haben sie uns über einen Botschafter wissen lassen. Marcelo ruht in Frieden. Aber seine Kinder? Sie sind die, die ihm nachfolgen werden - sie, und wir auch.
***
Was hast du gesagt? Bist du sicher? Vielleicht wollte er ein paar Angelegenheiten regeln…
Nein, nichts dergleichen, Berta, sie haben ihn umgebracht, das haben sie uns wissen lassen, und das Schlimmste ist, dass er seinen Kinder nichts hinterlassen hat als das totale Elend und ein paar Protestlieder.
***
Jemand hat meinen Papa umgebracht, weil er nicht brav war, das sagen die Leute, weil er ein Rebell war, sagen sie. Wenn du willst, dass sie dich nicht umbringen, musst du die Befehle befolgen, du musst den Mund halten, wenn sie es dir anschaffen, weil dem, der redet, dem wird es schlecht ergehen.
Wer sind die?
Das sind die Monster, die diejenigen fressen, die nicht brav sind. Es sind die, die meinen Papa mitgenommen haben, mitten in der Nacht.
Aber die alten Frauen, sie sprechen, sie sprechen ohne Unterlass. Litaneien, so heißt es, für die Verstorbenen, auf dass sie in Frieden ruhen. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich werde es dir erzählen, nur dir. Ich sag es dir ganz leise und du erzählst es niemandem weiter. Ich habe gehört, wie sie zwischen unzähligen Wiederholungen von Gebetsformeln und Namen von Heiligen Worte wie diese erwähnten: Patronen, Granaten, Sprengstoff, Munition, und die anderen, die zweite Stimme des Chores, wiederholten jedes Mal: Betet für uns.
Ich weiß schon, was Patronen sind, was Munition ist. Ich habe es selbst herausgefunden, ohne jemanden um Hilfe zu bitten.
Weint nicht so, sagte Mamá Mecha zu den Kindern. Marcelo ruht in Frieden. Aber die Kinder entgegneten, dass sie mit so einem Satz nichts anfangen könnten, weil sie nicht wüssten, was Ruhen in Frieden bedeutet, und warum sie den umbringen, der redet.
***
Regina, Clara, Veronica, Maria, Petra, Paulina, Sara, Sofia, Berta, Martha, Monica, Lara, Barbara, Ana - wir alle gehen gemeinsam, wir marschieren miteinander! Wir warten nicht länger, denn dann wird es zu spät sein und die Gewalt wird auch uns erfassen. Wir müssen marschieren, wir müssen in die große Stadt, dorthin, zu den Regierenden. Wenn wir uns nicht organisieren, wenn wir uns nicht erheben, werden die, die unsere Männer geholt haben, in unsere Häuser kommen und unsere Söhne mitnehmen, und niemand, ich sage euch, wirklich niemand, niemand wird sich verteidigen können. Sie sind es, die dem Volk befehlen und wir werden unsere Söhne im Massengrab beweinen müssen.
***
Meine Mutter weiß nicht, warum wir so viel Gewalt und Elend erleiden müssen. In ihrer Familie, hat sie uns erzählt, gab es keinen, der ein böses Herz hatte. Aber meine Mutter ist mit ihnen gegangen, mit denen, die sich zusammengetan hatten, um in die große Stadt zu ziehen, um zu sprechen, denn sie hatten keine Angst davor, zu sprechen, so hat es meine Mutter gesagt.
Die Frauen, die ohne Unterlass die Litaneien wiederholen, sind die, die sich jetzt um die Kinder kümmern. Es heißt, dass sie nichts mehr erwarten würden, nichts und niemanden. Doch für die anderen, die, die mitgegangen sind, war es schwer, sich zu ergeben, sinnlos zu sterben wie ihre Ehemänner, die nach langer Flucht vor dem Tode schließlich gefallen waren - vor ihrer Zeit waren sie gestorben, man hatte ihnen ihr Leben gestohlen.
Nein, wir können nicht zulassen, dass sie uns und unsere Söhne töten, schon gar nicht in diesem entscheidenden Moment. Die Grenze ist erreicht. Warum noch länger warten? Um zu sehen, wie sie unsere Söhne verschwinden lassen? Sie haben uns verletzt, die Wunden vernarben nicht, sie bleiben offen, bis es Heilung gibt. Deshalb werden wir keine weitere Minute verstreichen lassen. Sie haben uns tödlich verletzt, indem sie unsere Ehemänner geholt haben, einen nach dem anderen. Vereinigen wir uns! Singen wir! Stärken wir uns gegenseitig! Entscheiden wir uns dafür, unsere Söhne zu verteidigen wie Löwinnen.
…Und eine der alten Frauen, die in der ersten Stimme in der unendlichen Wiederholung der Litaneien sang, mischte unter die Gebetsformeln Worte wie diese: Patronen, Granaten, Sprengstoff, Munition - und die anderen, die aus der zweiten Stimme, antworteten: Betet für uns.
Übersetzt von Christine Schadenhofer.
Spanisch
Mamá Mecha
No; no hemos muerto, todavía estamos vivas.
Se lo llevaron.
¿Qué dices?
Eso mismo; que se lo llevaron.
¿Qué hizo? ¿Por qué a él?
Ya sabes.
¡Berta, Berta, mataron a mi marido!
Dios mío; ¿qué es lo que estás diciendo?
Yo le decía que no se metiera en los movimientos de protesta, que para qué protestar si no se cambia nada, que eso no trae nada bueno. Pero él una y otra vez repetía, tenemos que luchar para que nuestros hijos tengan una mejor vida. ¿Y ahora? Ahora estamos sin él y más pobres.
Marcelo era muy divertido, contagiaba su buen humor. Cada mañana cantaba alguna canción pegajosa, siempre otra distinta, con ella empezaba el nuevo día y era la que quedaba grabada en la cabeza de todos nosotros. Los niños salían de la casa cantando, pero poco a poco las canciones se radicalizaron, cambió la letra de ligera en la de protesta. A los niños les gustaba mucho repetir lo que su padre cantaba. Yo le decía que no les enseñara eso a sus hijos, pero nunca me oyó y ahora están aquí las consecuencias.
El 29 de julio, al pasear en el centro de su pueblo natal con un conocido, Marcelo desapareció cuando cuatro hombres se lo llevaron junto con su acompañante. De inmediato la familia comenzó a buscarlo, sin saber qué hacer, pidiendo ayuda a su alrededor, a los vecinos, entre las amistades y, finalmente, a las autoridades. Nada se supo más de él.
Son cosas horribles las que están pasando, decía Mamá Mecha tratando de reprimir el llanto. Antes no era así. Antes nos concentrábamos en el trabajo con las plantas y los animales. Antes vivíamos bien, sin que nadie se metiera con nosotros. ¿Por qué todo esto? ¿Por qué?
La visión del futuro también desapareció. Fueron borradas las imágenes que les habían dado durante mucho tiempo el ritmo de la vida. De un momento a otro se transformaron sus sueños en miedo, en odio. Los niños no volvieron a cantar, se volvieron huraños, nada les alegraba.
¿Dónde está papá? Una y otra vez repetían la misma pregunta.
No, no puedo; nos les voy a contar una mentira ni a dar la esperanza falsa de que su padre volverá algún día.
Si falto yo, así decía Marcelo, tendrás que seguir tú adelante. Tienes que estar preparada para todo. Tienes que sacar adelante a los niños.
No digas esas cosas, le respondía yo.
Los dos sabíamos que muchos hombres habían desaparecido. Nunca más los volveríamos a ver, ni muertos ni vivos. Ni siquiera nos dejaron sus cuerpos para poderlos enterrar. Así nada más, de un momento a otro los hicieron desaparecer.
El paisaje que se presentaba era oscuro y muy triste. Todos queríamos vivir en paz. Pero qué es lo que digo si esa paz se nos arrebató hace ya algunos meses. Y aunque nosotros veamos el sol, muchos nunca más volverán a ver un nuevo amanecer.
***
¿De dónde son?
Ni idea.
Pero sabrás quiénes son ¿o no es asi?
No, no lo sé.
Me acuerdo muy bien de las noches que pasamos caminando sin hacer ruido. Íbamos con los ojos que nos pesaban y se cerraban de cansancio. Andábamos con la mente aturdida. Queríamos decirles a ellos que nosotros no éramos personas agresivas. Que éramos gente de bien. Que no nos mataran. Que nos dejaran vivir en paz. Lo que buscábamos era la paz para todos. Y la paz es más grande que la muerte, que las amenazas, que la misma vida. Pero por querer defender nuestras tierras para que no las usurparan, por eso mismo ahora tenemos de enemigos a los que ni siquiera sabíamos que existían. A esos que nunca antes habíamos visto, ni a ellos ni a sus familiares ni a sus amigos. Llegaron como sombras que en la noche salen con sus armas y en el día se esconden. Se vinieron a nuestra tierra con la maldita convicción de que nos tenían que someter a su voluntad y poder. Todo aquel que se revelara tendría como fin la tortura de la muerte.
No queremos veros, así nos hicieron saber por medio de sus comunicados, pero si os vemos os matamos. A Marcelo, como a muchos antes de él, se lo llevaron, lo maltrataron y al final lo mataron. Esto también nos lo hicieron saber por medio de un comunicado. Él ya está en paz; ¿pero y sus hijos? Ellos son los que siguen, ellos y nosotras.
***
¿Qué dijiste? ¿Estás segura? Tal vez fue a arreglar algunos asuntos...
No, nada de eso Berta, lo mataron, así nos lo hicieron saber y lo peor es que no les dejó a sus hijos más que pura miseria y las canciones de protesta.
***
Alguien mató a mi papá por portarse mal; así dice la gente, por ser rebelde. Si quieres que no te maten, tienes que seguir las órdenes, tienes que callarte la boca cuando ellos te lo manden, porque al que habla le va muy mal.
¿Quiénes son ellos?
Son los monstruos, los que se comen a los que se portan mal. Ellos son los que en la noche se llevaron a mi papá.
Pero las señoras viejas, ellas sí que hablan y hablan sin parar. Dicen que son letanías para los difuntos para que descansen en paz. Aunque de verdad no lo sé, te lo voy a contar sólo a ti, te lo digo bajito y no se lo digas a nadie; yo las he oído que de vez en vez, entre tanta repetición de frases y nombres de santos, mencionan palabras como éstas; cartuchos, granadas, explosivos, municiones; y las otras, las del segundo coro responden una y otra vez, rogad por nosotros. Yo ya sé qué son cartuchos y municiones. Lo investigué yo solo, sin pedir ayuda a nadie.
No lloren así, les decía Mamá Mecha a los niños. Marcelo descansa en paz. Pero los niños argumentaban que no podían responder a ese tipo de frases porque no sabían qué era descansar en paz y porque al que habla lo matan.
***
Regina, Clara, Verónica, María, Petra, Paulina, Sara, Sofia, Berta, Marta, Mónica, Lara, Bárbara, Ana; todas juntas vayamos, marchemos de una vez. No esperemos más porque entonces será demasiado tarde y a nosotras también nos agarrará la violencia. Tenemos que marchar, ir a la ciudad grande, donde viven los mandatarios. Si no nos organizamos, si no nos levantamos, esos que se llevaron a nuestros hombres entrarán a nuestras casas y se llevarán a nuestros hijos y nadie; os digo, nadie de verdad, nadie podrá defenderse. Serán ellos los que manden en el pueblo y a nuestros hijos los tendremos que llorar en la tumba colectiva.
***
Mi mamá no sabe por qué padecemos tanta violencia y miseria. En su familia, así nos dijo, ninguno de sus antepasados era persona de corazón malo. Pero mi mamá se fue con ellas, con las que se organizaron para marchar a la ciudad grande y hablar, porque a ellas no les da miedo hablar, así dijo mi mamá.
Las que repiten sin cansancio las letanías son las que ahora se encargan de cuidar a los niños. Dicen que ellas ya no esperan nada y a nadie. Pero a las otras, a las que se fueron les costaba trabajo resignarse, morirse sin ninguna razón, así como sus maridos que de tanto huir de la muerte cayeron en ella, pero no por una causa natural sino porque les arrebataron la vida.
No; no podemos dejar que nos maten a nosotras y a nuestros hijos. Mucho menos en este momento crítico, porque hemos llegado al límite; para qué esperar más, ¿para ver también como hacen desparecer a nuestros hijos? A nosotras nos han herido, las heridas no cicatrizan, se quedan abiertas hasta que haya una curación; por eso no dejemos pasar ni un minuto más, nos han herido a muerte llevándose de uno en uno a nuestros maridos. Unámonos. Cantemos. Démonos una a la otra fuerzas. Decidámonos defender como leonas a nuestros hijos.
...Y unas de las viejas que participaban en el primer coro de la repetición de las interminables letanías, mezclaban entre las frases de la oración palabras como éstas; cartuchos, granadas, explosivos, municiones; y las otras, las del segundo coro respondían, rogad por nosotros.